Jahresrückblick 2012 Das Scheitern eines Wunsch-Bündnisses

Rücktritte, Streitereien, Eifersüchteleien. Für Angela Merkels schwarz-gelbe Wunschkoalition lief das Jahr 2012 nicht besonders gut. Dem anfänglichen Enthusiasmus ist längst Ernüchterung gewichen. Schwarz-Gelb droht 2013 die Abwahl trotz idealer wirtschaftlicher Rahmenbedingungen. Das könnte lange nachwirken.

Generaldebatte in Berlin: Merkel leidenschaftlich wie selten
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Das Jahr begann für Kanzlerin Angela Merkel, wie es aufhörte. Streit in ihrer schwarz-gelben Koalition und ein Koalitionspartner, der seinen Parteichef anzählt. Anfang Januar 2012 rauften sich Umweltminister Norbert Röttgen und Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) öffentlich über die Solarförderung. Die Opposition frohlockte. Außerdem musste sich FDP-Chef Philipp Rösler kurz vor der traditionellen Dreikönigskundgebung der Liberalen geharnischte Kritik aus den eigenen Reihen anhören. Erste Putschgerüchte machten die Runde.

Im Februar dann der Super-GAU für die schwarz-gelbe Koalition. Nach einer monatelangen Kredit- und Medienaffäre musste der von Union und FDP ausgewählte Bundespräsident Christian Wulff zurücktreten. "Schlimmer geht nimmer", seufzte damals ein enger Mitarbeiter der Kanzlerin. Dass sich anschließend Union und FDP auch noch heftig über den Nachfolger stritten (Union wollte Voßkuhle oder Töpfer, die FDP Gauck) passte ins Bild.

Pleiten, Pannen und öffentliche Streitereien prägen das Bild der schwarz-gelben Koalition seit nunmehr mehr als drei Jahren. Was im Herbst 2009 als Wunschkoalition mit einer überschwänglichen gemeinsamen Pressekonferenz der Vorsitzenden Guido Westerwelle (FDP), Horst Seehofer (CSU) und Angela Merkel (CDU) begann, ist durch ständige Eifersüchteleien und gegenseitige Schuldzuweisungen zu einem reinen Zweckbündnis verkommen, das sich trotz bester äußerer Bedingungen, gutes Wirtschaftswachstum, stabile Beschäftigungslage, zur Bundestagswahl schleppt.

Kanzlerin Merkel verlor in den Jahren nicht nur zwei Bundespräsidenten (Wulff und Horst Köhler), sondern auch die Bundesminister Franz-Josef Jung, Karl-Theodor zu Guttenberg und Norbert Röttgen. Außerdem musste sie elf Niederlagen bei Landtagswahlen und eine Personalrochade beim Koalitionspartner FDP verkraften (Philipp Rösler statt Guido Westerwelle).

Zickzack-Kurs und Ad-hoc-Politik

Dass das alles nur Pech und dumme Zufälle waren, wird selbst von Anhängern des Bündnisses verneint. Die Krux liegt im System Schwarz-Gelb. Inhaltlich verfolgte die Regierung Merkel von Beginn an keinen klaren Kurs. Wachstum in Krisenzeiten, lautete zunächst das Motto, doch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz, mit dem das Kindergeld erhöht und Steuern gesenkt wurden, blieb in der Öffentlichkeit vor allem wegen des Mehrwertsteuer-Geschenks an die Hotellerie in Erinnerung. Die Aussetzung der Wehrpflicht und die abrupte Energiewende waren gar nicht erst angedacht von Schwarz-Gelb und standen plötzlich auf der Tagesordnung. Andere Projekte wie die steuerliche Entlastung der Mittelschicht, die grundsätzliche Reform der Mehrwertsteuer oder eine Ausgabenbremse beim Bundeshaushalt stehen bis heute nur auf dem Papier. Dafür konnte sich die Koalition im Krisenjahr 2012 immerhin auf die Abschaffung der Praxisgebühr einigen. Das war zwar nur Bestandteil eines christlich-liberalen Kuhhandels (dafür kommt das Betreuungsgeld), wird aber von Experten als notwendig erachtet.

Doch eine konzise Politik, die einen klaren Kompass verfolgt, war 2012 kaum zu sehen. Immer wieder wirkte die schwarz-gelbe Regierungsarbeit wie Stückwerk, Ad-hoc-Politik. Während Kanzlerin Merkel den Euro rettete und von Krisengipfel zu Krisengipfel eilte, bestimmten Blockaden und gescheiterte Initiativen die innenpolitischen Ergebnisse. Im Bundesrat konnte die Bundesregierung nicht einmal das traditionelle Jahressteuergesetz, eine simple Ansammlung von Steuerrechtsänderungen, durchsetzen. Das hatte es noch nie gegeben. Der Umgang in der Koalition untereinander führte ebenfalls dazu, dass heute nur noch knapp 30 Prozent der Bevölkerung der Bundesregierung gute Noten geben.

In den bürgerlichen Milieus haben die Eifersüchteleien, Sticheleien, Durchstechereien und gegenseitigen öffentlichen Attacken der Regierungsmitglieder erst Erstaunen, dann Entsetzen hervorgerufen. Der frühere Journalist und Berater von CSU-Chef Edmund Stoiber, Michael Spreng, bilanzierte unlängst nüchtern: "Warum soll es für Deutschland gut und richtig sein, dass Schwarz-Gelb weiter regiert? Schwarz-Gelb ist in allen wichtigen Fragen zerstritten." Selbst dem eher besonnenen Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) platzte in einer internen Runde einmal die Hutschnur. "Es wird zu viel geschwätzt", ärgerte sich der Minister, als wieder einmal Regierungsvorhaben vorab öffentlich und sofort zerredet wurden. Ob Pflegereform, Mindestlohn, Finanzmarkteuer oder Betreuungsgeld. Am liebsten arbeiteten die Regierungsressorts gegeneinander.

Klein-Kram statt langfristiger Konzepte

Mit welcher Agenda will Schwarz-Gelb eigentlich in den Bundestagswahl ziehen? Warum hat diese Regierung eine zweite Amtszeit verdient? Unions-Fraktionschef Volker Kauder hat die gesamte Strategie unlängst in entwaffnender Ehrlichkeit offengelegt: "Auf die Kanzlerin kommt es an." Merkel, die beliebte Volkskanzlerin. Dahinter ist nicht mehr viel.

Dabei muss das ausgelaugte Bündnis ausgerechnet jetzt in einen Lager-Wahlkampf ziehen, wie es ihn selbst in den Jahren 2002 und 2005 nicht gegeben hat. Die Spitzen von Rot-Grün haben sich längst zusammengeschweißt, planen Doppel-Auftritte und lassen kaum eine öffentliche Debatte über Schwarz-Grün oder eine Ampel-Koalition zu. "Rot-Grün, sonst nichts", sagte SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück jüngst bei einem Auftritt mit Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin.

Die Genossen wissen, dass jedes Nachdenken über eine große Koalition zu Verärgerung in ihrer Klientel führt. Ähnlich ist es bei den Grünen und Spekulationen über Schwarz-Grün. Wenn die Opposition aber geschlossen steht, dann bleibt auch der regierenden Koalition nichts anderes übrig, als die Reihen dicht zu machen. Nun wollen Kanzlerin Merkel und ihr Vize Philipp Rösler vor der Niedersachsen-Wahl ein Signal der Geschlossenheit senden. Wie das genau aussehen soll, ist aber noch unklar.

Immerhin: Die Wahl ist noch lange nicht entschieden. Die wirtschaftliche Lage spielt bisher der Bundesregierung in die Hände. Warnungen vor einer Spaltung der Gesellschaft und grassierender Armut in Deutschland wirken angesichts der Rekorderwerbstätigkeit und den sprudelnden Steuereinnahmen wie populistische Schreckensszenarien einer verzweifelten Opposition. Rot-Grün hat allen Umfragen zufolge bislang keine eigene Mehrheit. Eine Wechselstimmung ist im Land nicht auszumachen.

Und Merkel dürfte im Bundestagswahljahr 2013 wieder ausreichend Gelegenheit haben, sich auf internationalen Gipfeln als Hüterin der deutschen Staatskasse zu präsentieren. Griechenland braucht vor 2014 wohl kein frisches Geld mehr. Und im Adenauer-Haus werden bereits die Plakate gegen die vermeintliche rot-grüne Schuldenunion in Europa und die "Steuererhöhungsgenossen" gebastelt. Die Fronten sind also klar. Sollte sich die Wirtschaft allerdings deutlich abschwächen und das Thema soziale Sicherheit wieder an Bedeutung gewinnen, dann könnten auch SPD und Grüne in der Wählergunst reüssieren.

Eines räumen aber selbst die größten schwarz-gelben Anhänger in kleiner Runde ein. Eine Chance haben Union und FDP nur, wenn sich die Beteiligten zusammenraufen und auch nach außen erstmals ein Bündnis darstellen. Ein Unionsmann brachte es neulich auf den Punkt: "Wenn wir uns selbst nicht vertrauen, vertraut uns auch kein Wähler."

(brö)
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