Jahresrückblick 2012 Die Rockerszene sortiert sich neu

2012 war kein gutes Jahr für die Rocker. Die Konkurrenzkämpfe unter den rivalisierenden Gangs haben zugenommen, zugleich erhöhte die Polizei die Zahl der Razzien in den Klubheimen. Nun ist die Szene im Wandel.

Rockergewalt in Deutschland - eine Chronik
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Es ist eine Szene wie aus einem Gangster-Film: Auf beiden Seiten der Straße stehen sich jeweils 40 muskulöse Rocker zweier rivalisierender Gangs gegenüber. Sie tragen schwarze Lederkutten, sind mit Baseballschlägern und Messern bewaffnet – und verstehen keinen Spaß. Es sind Mitglieder der Bandidos und Hells Angels. Beide Parteien erheben Anspruch auf den Job, den Sicherheitsdienst einer Bar zu stellen, und keiner von ihnen ist zum Rückzug bereit. High Noon in Mönchengladbach. Später fließt Blut, vier Rocker werden verletzt, die Polizei löst die Auseinandersetzung mit einem Großaufgebot an Einsatzkräften auf.

Im Januar dieses Jahres hat sich diese Auseinandersetzung in Mönchengladbach ereignet. Und gab damit den Auftakt für eine der größten Razzien im Rockermilieu in der Geschichte NRWs. Monatelang durchsuchten Polizisten Klubheime und Privatwohnungen von Rockern, unter anderem in Aachen, Düsseldorf, Leverkusen und Krefeld.

Oft fanden die Beamten Waffen, gelegentlich auch Drogen. Über dem Klubhaus eines Supporter-Vereins in Düsseldorf-Gerresheim stießen sie sogar auf die größte Haschischplantage, die je in NRW ausfindig gemacht wurde. Doch beweisen ließ sich eine Mitwisserschaft der Rocker an dem Drogenanbau nicht. Der Chef des Klubs wurde wieder auf freien Fuß gesetzt. Viele Rocker, so das Fazit der Polizei, haben kriminelle Energie – aber sind schwer zu fassen.

Als eine der Konsequenzen aus der massiven Polizeipräsenz ist die Rockerszene in NRW im Umbruch – und ist dabei aktiver denn je. Im Vergleich zu vor fünf Jahren hat sich die Zahl der Rocker-Klubs verdoppelt, heißt es im aktuellen Lagebericht "Organisierte Kriminalität" des Landeskriminalamts (LKA). Rockern werden Verbindungen ins Türstehermilieu und in die Rotlichtszene nachgesagt, auch im Drogenhandel sollen sie zu Geld kommen. Von 900 bis 1000 gewaltbereiten Rockern in Nordrhein-Westfalen, die ein Leben in der gesellschaftlichen Unterschicht führen, geht das Landeskriminalamt derzeit aus. Und es werden immer mehr.

Neben den Hells Angels und Bandidos, den bekanntesten Motorradklubs, versuchen sich neuerdings auch kleinere Alternativ-Klubs zu etablieren. "Es sind mehrere neue Gruppierungen dazugekommen", sagt LKA-Sprecher Frank Scheulen. So hat sich etwa im September im Duisburger Rotlichtviertel der niederländische Rockerklub Satadurah niedergelassen – in direkter Nachbarschaft zu den befreundeten Bandidos. Und in Köln mischen die Kurden-Rocker von Median Empire die Szene auf.

Sie machen keinen Hehl daraus, dass es ihnen nicht um Motorrad-Folklore allein geht. "Wenn wir nur Harley fahren und bunte Kutten tragen wollten, wären wir keine Rocker, sondern ein Karnevalsverein", sagt der kurdischstämmige Klubchef Erhahn. Darum patrouillert er mit seinen Vereinsbrüdern regelmäßig auf den Kölner Ringen. Inzwischen stellen sie bereits die Türsteher in fünf Kölner Klubs. Doch sie haben ein Interesse daran, dass die Polizei nicht allzu viel Wind von dem Rockerstreit bekommt.

"Wir wollen keinen Rockerkrieg", versichert Erhahn. "Aber es deutet sich an, dass die Hells Angels ein Problem mit uns haben. Wir wollen herausfinden, ob das stimmt." Die Antwort kam prompt: Als im Oktober von Unbekannten an eine Hauswand in der Kölner Innenstadt ein Grafitto mit der Aufschrift "BffB" ("Bandidos forever, forever Bandidos") gesprüht wurde, statteten die Hells Angels den Kurden-Rockern einen Besuch ab. Schließlich sind die Hells Angels dafür bekannt, keine anderen Rocker neben sich zu dulden – vor allem nicht die verfeindeten Bandidos.

Doch wer glaubt, dass die Rockerszene mit einem schlichten Vereinsverbot aufgelöst werden könnte, der irrt: Ein bundesweites Vereinsverbot für Rockerklubs scheiterte bisher an den rechtlichen Hürden. Und dort, wo lokale Rocker-Verbote ausgesprochen wurden, weicht die Szene in die Region aus.

Seit zwölf Jahren ist in Düsseldorf das Hells-Angels-Charter mit einem Vereinsverbot belegt, im Frühjahr dieses Jahres kamen das Bandidos-Charter Aachen und das Hels-Angels-Charter in Köln hinzu. Was bedeutet, dass sich die Szene für die Polizei nun schwerer kontrollieren lässt. "Weil die Hells Angels in Köln verboten wurden, heißt dies natürlich nicht, dass es die Menschen nun nicht mehr gibt", so ein Sprecher der Kölner Polizei.

Dafür etabliert sich gerade eine neue Rockerszene weiter im Norden. "Krefeld ist das neue Zentrum der Hells Angels am Niederrhein", sagt ein Polizeisprecher. Der Treffpunkt für Rocker aus der ganzen Region: das Lokal Route 81 in der Krefelder Innenstadt. Die Polizei will das Umfeld der Kneipe künftig im Blick behalten. Doch solange den Rockern keine Straftaten vorgeworfen werden können, ist der Spielraum der Polizei begrenzt.

Denn das Geschäftsmodell der Rocker ist trotz ihres martialischen Auftretens oftmals subtil: Oft machen sie sich gar nicht direkt selbst strafbar, sondern fungieren als Drohkulisse. Mancher Geschäftspartner lässt sich schneller von einem Deal überzeugen, wenn bei Vertragsunterzeichnung 30 bewaffnete Rocker vor dem Haus stehen, in dem sich seine Frau und seine Kinder aufhalten.

Und wenn sie die Polizei fürchten müssen, stehen die sonst so verfeindeten Rocker ganz schnell dicht beisammen. Dann weigert sich plötzlich ein verletzter Hells Angel, den Namen des Bandidos zu verraten, der ihm gerade lebensgefährliche Verletzungen zugefügt hat. Und dann wechselt ein Bandidos plötzlich seine Klubmitgliedschaft und geht zu den Hells Angels.

So vor wenigen Wochen passiert in Krefeld. Gleich 30 Bandidos-Mitglieder und 70 sogenannte Supporter der Bandidos haben das Lager gewechselt und sind zu den ehemaligen Erzfeinden übergetreten – darunter die komplette Klever und Leverkusener Abteilung sowie Oberhausener und Kölner Bandidos. Unter ihnen: Einer der Bandidos, die bei der Messerstecherei vom Januar in Mönchengladbach schwer verletzt worden waren. Von einem Hells Angel.

(gre)
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