Bauer Willi "Das Kilo Kartoffeln für einen Cent"

Mit einer Wutrede gegen Supermarktkunden wurde Bauer Willi aus dem Rheinkreis Neuss im Internet ein Star. Er kritisiert, dass der Verbraucher bio und billig will - doch beides gehe eben nicht. Im Interview legt er jetzt nach.

Kartoffel-Bauer Willi im Interview
Foto: Hans Jazyk

Neuss "Du hast keine Ahnung, aber davon ganz viel", schreibt Bauer Willi* in einem offenen Brief an die Verbraucher. Der Landwirt vom Niederrhein hat aufgeschrieben, was ihn wütend macht. Das ist eine ganze Menge. Zum Beispiel, dass der Nachbarlandwirt für seine Kartoffeln, die für Tiefkühl-Pommes bestimmt sind, nur einen Cent pro Kilo erhält - 250 Euro für eine komplette Lkw-Ladung mit 25 Tonnen. Am meisten provozieren ihn die Ansprüche der Verbraucher, die davon ausgehen, dass Lebensmittel nicht nur unter besten Bedingungen produziert werden, sondern auch spottbillig sein sollen. Der Brandbrief verbreitete sich im Internet in kürzester Zeit. Nach wenigen Tagen hatte seine Internetseite mehr als 250 000 neue Leser.

Sind wir wirklich alle so dumm, wie Sie es in Ihrem Brief behaupten?

Willi Der Verbraucher ist nicht nur naiv, er ist in gewissem Maße auch unehrlich. Als Landwirt muss ich mich ständig verteidigen: Verwende ich Gentechnik? Setze ich Pestizide ein? Befürworte ich Massentierhaltung? Aber die gleichen Verbraucher, die ständig kritisch nachfragen, gehen anschließend beim Discounter einkaufen.

Also sollten wir nur noch Bio-Produkte kaufen und alles wäre gut?

Willi Bio ist inzwischen ein riesiger Markt: Die internationale Konkurrenz drängt auf den deutschen Markt und zerstört die Preise. Generell ist mir egal, was die Leute kaufen. Aber wer ein ganzes Hähnchen für 2,49 Euro kauft, darf sich nicht über Massentierhaltung aufregen. Wer ein unter optimalen Bedingungen großgezogenes Hühnchen essen will, muss mindestens zehn Euro bezahlen. Aber dieses Geld wollen die meisten nicht zahlen. Das ist schizophren.

Ihre Forderung: Wir müssen Lebensmittel mehr wertschätzen.

Willi Auf jeden Fall. Was mindestens genauso wichtig ist: Man sollte bedenken, dass die Weiterverarbeitung von Lebensmitteln dem Erzeuger vom Erlös abgeht. Früher kamen die Lebensmittel vom Bauern über den Metzger oder Bäcker direkt in die Küche. Heute gehen die Zutaten für beispielsweise eine Tiefkühl-Pizza vom Bauern erst zum Teigproduzenten, dann in die Pizzafabrik, von dort ins Zentrallager und in den Supermarkt. Anschließend landen sie in der Küche und von dort geht es oftmals direkt in den Müll. Der Durchschnittsdeutsche wirft jährlich Lebensmittel im Wert von 233 Euro weg. Das macht rund 19 Milliarden Euro im Jahr aus.

Inwiefern betrifft das den Landwirt?

Willi Ich produziere zum Teil für die Tonne. Und das hat mal Geld gekostet, das irgendjemandem in dieser Wertschöpfungskette nachher fehlt.

Was wäre ein Ausweg?

Willi Einfach weniger Fertigprodukte nutzen, stattdessen selbst kochen. Der Preis für Zutaten aus dem Supermarkt, um daraus selbst vier frische Pizzen zu backen, beträgt 3,30 Euro. Das ist doch nicht teuer - macht aber Arbeit. Der Supermarktkunde freut sich generell, wenn er Schnäppchen machen kann.

Haben die Discounter die Preisspirale nach unten selbst verursacht?

Willi Gehirnforscher haben herausgefunden, dass Rabatte im Gehirn wie Kokain wirken. Schuld an dem Preisverfall und den damit einhergehenden Produktionsbedingungen für Lebensmittel hat nicht die Industrie, sondern eindeutig der Verbraucher. Denn er hat die freie Entscheidung, welches Hähnchen er wählt: Das für 2,49 oder für 4,49 Euro. Der Verbraucher hat es in der Hand.

Oftmals weiß man aber gar nicht, unter welchen Bedingungen die Produkte entstanden sind.

Willi Das ist genau der Knackpunkt. Wenn wir von allem wüssten, wie es hergestellt wurde, würden wir uns anders verhalten. Die Berichterstattung über die Kleiderfabriken in Bangladesch haben dafür gesorgt, dass nun einige Billig-Modemarken, die dort produzieren lassen, ernsthafte Probleme bekommen.

Wie wahrscheinlich ist es, dass die Milch aus dem Supermarkt von einer Kuh stammt, die schonmal eine Weide gesehen hat?

Willi Gering. Wenn sich 1500 Kühe auf einer Weide ausbreiten würden, würden sie die Wiese in kürzester Zeit platttreten. Dass die Kuh auf die Weide kommt, ist gar nicht notwendig. Moderne Ställe sind Wohlfühlhotels, anders als vor 40 Jahren. Wenn Landwirte ihre Kühe tatsächlich auf die Weide schicken, hat das oft andere Gründe. Die Schweiz zahlt den Bauern zum Beispiel eine Prämie, wenn die Kühe auf der Alm ausgeführt werden. Das ist so schön für die Touristen anzuschauen.

Was müssen wir tun, um uns besser zu ernähren?

Willi Nachdenken, wie die Lebensmittel zu dem angebotenen Preis produziert wurden. Und mal beim Bauern in der Nachbarschaft vorbeischauen. Sie müssen nichts kaufen. Aber Sie können ihn doch einfach mal fragen, wie er arbeitet. Danach sind Sie in jedem Fall schlauer.

* Name der Redaktion bekannt. Den Brief gibt es unter www.bauerwilli.com/lieberverbraucher

SVEN GREST FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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