Jan Böhmermann "Ich lege Leuten den offenen Hals hin"

Düsseldorf · Jan Böhmermann hat gerade beides: Ärger und Aufmerksamkeit. Mit uns hat er über das "Neo Magazin Royale", den Rost des Urheberrechts und das Erfolgsgeheimnis von Helene Fischer gesprochen.

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Helene Fischer ließ kürzlich ausrichten, sie stehe als Gast für Ihre Sendung "nicht zur Verfügung". Was hätten Sie denn mit Ihr angestellt?

Böhmermann Ich hätte sie bloß interviewt und einen Song mit ihr gesungen. Aber eventuell bezog sich die Absage nur auf die alte Sendung, nicht auf das Neo Magazin Royale. Es kann also sein, dass sie dem neuen Format zur Verfügung steht. Daumen drücken!

Wegen des shiny floors im neuen Studio, dem edelsten aller Fernsehstudioböden?

Böhmermann Rein optisch nähern wir uns der Helene-Fischer-Welt. Dieses Studio hat so etwas Abwaschbares und Hölzernes. Das wird Frau Fischer gefallen.

Sie haben sie die "singende Sagrotanflasche" genannt.

Böhmermann Das habe ich überspitzt gemeint. Ich meinte natürlich ein sehr wohlgeformtes, weiblich gerundetes Sagrotanfläschchen.

Haben Sagrotanflaschen nicht auch schon Taille?

Böhmermann So wie die Cola-Flaschen? Nein, die sind sehr gerade. Ich habe einen Artikel in der Welt am Sonntag gelesen, in der die Autorin das Phänomen Helene Fischer sehr gut beschrieben hat. Wenn immer sie auf der Bühne etwas Frivoles macht, wird dem etwas entgegenstellt, was das aufhebt. Bei Helene Fischer weiß man nie, ob man nun eine Erektion bekommen oder sich dafür schämen soll, dass man überhaupt an Sex denkt. Das ist ihr Erfolgsgeheimnis.

Für wen würden Sie sich ein Bein abhacken, damit er in Ihre Sendung kommt?

Böhmermann Haftbefehl oder Morrissey. Aber vermutlich ist letzterer zu exzentrisch. Da müssten wir wahrscheinlich das Studio umbauen und alle Fleischesser erschießen.

Würden Sie im Interview vor Ehrfurcht erstarren?

Böhmermann Ich würde mich gar nicht trauen, Morrissey zu interviewen, sondern ihn nur als Musikgast einladen. Im Gespräch wären meine ohnehin nicht so guten Englischkenntnisse zu sehr beeinträchtigt. Ich würde es verkacken. Also soll er einfach ein Lied spielen, und ich sabbere.

Der Spiegel begann sein Interview mit Ihnen kürzlich mit der Frage, ob Sie wirklich so ein Arschloch sind. Ich möchte das etwas netter formulieren. Wie egoistisch müssen Sie als öffentlicher Jan Böhmermann sein?

Böhmermann Als Jan Böhmermann, der eine Bühne bespielt, muss ich auf jeden Fall kompromisslos sein und eine Rampensau. Aber sagen Sie nichts gegen das Spiegel-Interview. Weil die Einstiegsfrage so radikal war, habe ich sofort aufgehört mich zu bemühen, daraus eine witzige Nummer zu machen. Das hat dem Interview nur geholfen. Selbst ich hätte niemals so eine Frage gestellt. Diese verdammte Lügenpresse!

Unter dem Interview war ein Bild von Ihnen und den beiden Interviewern zu sehen. Da steckt der eine seinen Daumen schon relativ uncool in die Hosentasche der Jeans. Wie macht man das besser?

Böhmermann Das ist eine Findungsphase, auch bei mir noch. Die endet vermutlich erst, wenn ich auf dem städtischen Friedhof in Bremen-Aumund verbuddelt werde. Aber ich erfreue mich auch gerne meiner eigenen Spaddeligkeit. Wenn ich versuche, Dinge cool aussehen zu lassen, sehen sie meistens bescheuert aus. Das ist meinem Job sehr zuträglich.

Gibt es Fälle, in denen Sie zum Diktator werden?

Böhmermann Ja. Da bin ich über mich selbst erschrocken. Als unter Zeitdruck der eine oder andere liebe langjährige Kollege trotz Probe nicht verinnerlicht hatte, dass jetzt nicht der Zeitpunkt ist, um mit seiner Mutter Privatgespräche im Studio zu führen, bin ich mal kurz lauter geworden, als es das fünfte Mal passiert ist. Das ist eigentlich nicht mein Ding. Das hat aber auch sehr geholfen. Der Mitarbeiter hat schnell begriffen, dass es zuerst wichtig ist, dass die Sendung funktioniert, und erst dann geklärt werden muss, ob Mutti irgendwelche Schlappen zuhause vergessen hat. Außerhalb der Sendungstage gibt es aber wenig Hierarchie. Viele Entscheidungen werden demokratisch getroffen. Manchmal geht es aber nicht.

Dann fühlen Sie sich unwohl?

Böhmermann Es ist einfach uncool. Ich bewundere unseren Creative Director Philipp Käßbohrer sehr dafür, dass er im Umgang mit anderen Menschen nicht ganz so neurotisch rüberkommt. Als Autor habe ich ja viel alleine gearbeitet und musste nie Ansagen machen. Das passiert erst, seitdem ich diese Sendung mache.

Wann haben Sie akzeptiert, dass es okay ist, wenn Sie im Mittelpunkt stehen?

Böhmermann Privat habe ich mich schon immer in den Mittelpunkt gestellt und war eine große Belastung für mein näheres Umfeld. Ich habe meine Eltern wahnsinnig genervt, glaube ich. Und auch jetzt ist mein privates Umfeld nicht immer erfreut darüber, dass ich einen Drang zum Exzentrischen habe. Das beruflich anzunehmen, war einfach eine Notwendigkeit. Diese Art von Late-Night-Show lässt sich nur alleine machen.

Ich habe den Eindruck, dass Sie sich immer häufiger zu gesellschaftlichen Themen äußern. Entspringt das einem Bedürfnis?

Böhmermann Auf jeden Fall ist es nicht berechnend. Es sind einfach gerade drei oder vier Sachen passiert, die mich persönlich betreffen. Mir wird bewusst, dass das, was ich mache, nur deshalb funktioniert, weil ich Dinge aus meiner Lebenswelt in meinen Beruf ziehe. Ein Schauspieler bekommt Texte geschrieben, ich muss mir meine Texte selbst bauen. Als ich mich das erste Mal äußerte, ging es um die Sache im Dortmunder Rathaus.

Nach den Kommunalwahlen 2014 versuchten Nazis das Rathaus zu stürmen. Tags drauf kritisierten Sie dann die Polizei.

Böhmermann Mein Vater war selbst Polizist und ich habe immer hautnah mitbekommen, dass Polizeiarbeit auch eine ethische Komponente hat. Wenn nach der Kommunalwahl SS-Siggi und seine Jungs eine Party im Rathaus machen wollen, besoffen, vorbestraft und gewaltbereit, und Vertreter aller Parteien sich vor das Rathaus stellen und die Polizei das völlig unterschätzt und es zu Handgreiflichkeiten kommt und die Polizei dann in einer Pressemeldung mitteilt, dass da einfach zwei politische Lager aufeinandergetroffen seien - da wird es dann kritisch. Die Polizei hat die Aufgabe, die Grundrechte zu schützen. Aber da hat sie versucht, ihr Image zu wahren. Dabei ging es nicht darum, dass dort Linke auf Rechte getroffen sind. Alle gewählten Vertreter des Rathauses haben sich aufgestellt, um die Nazis abzuhalten, weil keine Bullen da waren. Dafür habe ich die Polizei auf Facebook kritisiert.

In einem für Facebook-Verhältnisse sehr langen Eintrag.

Böhmermann Es ist manchmal befreiend, über die private Haltung zu schreiben, anstatt ständig im On-Air-Modus zu sein und auf alles zu achten. Natürlich gebe ich damit etwas von mir preis und lege Leuten den offenen Hals hin. Aber es funktioniert nicht, immer derjenige zu sein, der alles richtig macht und über allen Dingen steht.

Haben Sie Angst, sich zu blamieren, wenn Sie sich aus der Deckung wagen?

Böhmermann Es gehört dazu, auch mal mit Anlauf zu versagen. Ich blamiere mich häufig genug. Und zahle dafür auch gerne mal 1000 Euro oder fang mir eine Schelle. Aber es führt zu nichts, wenn man es nicht riskiert. Es ist schön, den unnahbaren Ironiker zu geben, es ist aber auch manchmal sehr befreiend, es nicht zu tun. Ich schlafe nachts übrigens vorzüglich.

Äußern Sie sich spontan oder tragen Sie vorher einen inneren Konflikt aus?

Böhmermann Diesen inneren Konflikt gibt es. Zum Beispiel bei der Geschichte mit dem Fotografen, die mich gerade sehr beschäftigt. Inhaltlich und menschlich.

Sie haben bei Twitter vor einigen Monaten dieses berühmte Bild aus Rostock-Lichtenhagen geteilt, auf dem ein Mann zu sehen ist, der sich in die Hose gepinkelt hat und den Hitler-Gruß zeigt. Der Fotograf hat Ihnen eine Abmahnung geschickt, weil Sie seine Erlaubnis nicht eingeholt hatten. Daraufhin haben Sie ihn bei Twitter kritisiert.

Böhmermann Da habe ich mir vorher überlegt: Was mache ich? Was richte ich im Zweifel an? Ist das eine Sache von Recht oder Unrecht? Bringt eine Diskussion was? Ich lasse von so etwas ab, wenn es so ernst wird, dass es nicht mehr polemisch ist, sondern man nur noch auf Kommentare von Kommentaren antwortet. Gerade ist es sehr akut. Und den Namen des Fotografen zu posten geschah mit Sicherheit im Affekt und war unverhältnismäßig. Unverhältnismäßigkeit sollte man nicht mit Unverhältnismäßigkeit begegnen. Ich bin dankbar für meine Redaktion, die dann sagt: Lass uns lieber wieder Gags für die Sendung schreiben.

Haben Sie in dieser Angelegenheit Fehler gemacht?

Böhmermann Ich habe den Fehler gemacht anzunehmen, dass das Twittern eines Fotos nicht gleichzusetzen ist mit der Veröffentlichung eines Fotos zu Werbezwecken durch ein Unternehmen, ohne vorher die Erlaubnis einzuholen. Ich habe einfach nur das Foto geteilt, weil Sibylle Berg bei Twitter gesagt hatte, wer auch so einen beschissenen Tag wie sie gehabt habe, solle die Hand heben. Nach dem Schreiben des Anwalts habe ich natürlich sofort bezahlt.

Dann ist doch alles gut.

Böhmermann Das Problem war, dass dasselbe Abmahnschreiben einen Kollegen erreicht hat, der eben nicht 150.000 Follower hat. Dem konnte man nun wirklich nicht vorwerfen, Werbung zu machen, und trotzdem musste der dieselbe Summe zahlen. Dabei war der eindeutig eine Privatperson. Da habe ich mir zwei Fragen gestellt: Inwieweit ist das alte Urheberrecht auf Privatpersonen im Internet anwendbar? Und inwiefern ist es richtig, dass bis zur Klärung einer allgemeingültigen Norm Anwälte mit rechtsmissbräuchlichen Abmahnungen ein Geschäft machen?

Aber der Fotograf hat das Recht doch auf seiner Seite.

Böhmermann Ja und nein. Die Sache ist sehr komplex. Auf den Punkt gebracht: Ja, der Fotograf hat Recht. Niemand darf ein Foto veröffentlichen, ohne den Fotografen vorher zu fragen. Nein, der Fotograf hat nicht Recht. Twittern ist nicht Veröffentlichen im eigentlichen Sinne. Nein, er hat nicht Recht, es nicht die Werbung eines Unternehmens. Mich darf er vielleicht abmahnen, aber eine Privatperson nicht. Nur weil eine Sache rechtlich möglich ist, ist sie noch lange nicht gerecht.

Was folgt daraus?

Böhmermann Wir brauchen eine neue Rechtsnorm und eine Diskussion, die breit geführt werden muss, weil sie jeden betrifft, nicht nur bei Piratenpartei-Stammtischen. Ich bin ja selbst Urheber und weiß, dass das ein vielschichtiges Thema ist. Nach der Logik der Abmahner kann jeder 14-Jährige fürs Retweeten eines Fotos mit 1000 Euro abgemahnt werden. Bis zur Klärung liegt das im Ermessen des Fotografen. Das ist ein Problem.

Der Fotograf klagte neulich, dass er nun böse Mails erhalte und sogar seine Tochter nicht mehr in Ruhe zur Schule gehen könne. Haben Sie den Mob unterschätzt?

Böhmermann Den Mob gibt es überall, auch außerhalb des Internets. Aber es geht nicht um den Mob. Ich werde ja auch beschimpft. Dass es unangenehme Konsequenzen haben kann, wenn man Dinge tut, bei denen Welten aufeinanderprallen, das ist nun mal so. Aber wenn man darauf reagiert, indem man Abmahnungen verschickt, fördert man nicht gerade, dass grundlegende Probleme erwachsen und nachhaltig geklärt werden. Wir müssen die Front bearbeiten. Das müssen auch Fotografen wollen, ich will es in jedem Fall. Ich bin schließlich auch Urheber.

Sie hatten schon mal mit dem Thema Urheberrecht zu tun. Vor einigen Monaten haben Sie am Ende eines Videos des Youtubers Sami Slimani eben diesem die Birne mit einer Konfetti-Kanone weggeballert ( hier anschauen). Der ließ daraufhin das Video wegen Urheberrechtsverletzungen von Youtube sperren. Ist Youtube eine Gefahr für die Meinungsfreiheit?

Böhmermann Youtube versucht, sich als Anbieter von Inhalten neutral zu verhalten. Es würde ihnen das Genick brechen, Partei zu ergreifen. Aber wenn ein Premium-Youtuber wie Sami Slimani sagt, sein Urheberrecht wird verletzt, dann kann er Inhalte sperren lassen, und der Kanal von ZDFneo bekommt einen Strike. Bei drei Strikes kommt ZDFneo nie wieder rein. Das ist ein Problem der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, und weil es nicht Gerichte entscheiden, sondern die Plattform und die, deren Urheberrecht angeblich verletzt wurde. Es ist nicht gut, dass jemand erst mal Inhalte sperren kann und damit die Verbreitung unterbindet. Das kommt einer Zensur gleich, wenn es um einen Monopolisten geht. Und Youtube ist de facto ein Monopolist.

Wie wollen Sie das ändern?

Böhmermann Das einzige, was man tun kann, damit sich das ändert, ist, weiter diese vermeintlichen Rechtsverletzungen zu begehen. Wir brauchen eine Rechtsnorm, die berücksichtigt, dass die Welt sich ändert. Ist es noch eine klassische Urheberrechtsverletzung, wenn es eine Mehrheit der Bürger nicht als klassische Urheberrechtsverletzung sieht? Kann man einen 14-Jährigen mit zehn Followern so behandeln wie den Chefredakteur der Bildzeitung?

Eine Freundin von mir hat sie kürzlich einen "grimmigen Gutmenschen" genannt. Finden Sie sich darin wieder?

Böhmermann Gutmenschelnder Grimmbold. Joah... ich glaube, ich bin leicht naiv-idealistisch im Kern. Aber ich kann jederzeit von meinen gesamten idiotischen Ambitionen zurücktreten und mich für einen Vollidioten halten. Ich habe nicht den Anspruch, die vierte Gewalt zu sein.

Sondern?

Böhmermann Im besten Falle bin ich Teil der fünften Gewalt, die aus dem Busch kommt, wenn sie Leute mit einem Furz zum Lachen bringen will, die aber auch manchmal sagen kann: Leute, seid Ihr noch alle ganz bei Trost?

Die erste Folge des "Neo Magazin Royale" ist bereits jetzt in der ZDF-Mediathek zu sehen.

Dieser Artikel ist zuerst in der digitalen Sonntagszeitung der Rheinischen Post für iPads und Android-Tablets erschienen. Mehr dazu unter www.rp-app.de

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