Nachruf auf Roger Willemsen Entertainer des Geistes

Hamburg · Der deutsche Publizist, Autor und Fernsehmoderator Roger Willemsen ist im Alter von 60 Jahren gestorben. Erst im vergangenen Sommer hatte er von seiner Krebserkrankung erfahren und sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen.

Roger Willemsen: Bilder aus dem Leben des Publizisten und Moderators
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Bilder aus dem Leben von Roger Willemsen

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Manche Todesnachrichten machen uns nicht nur betroffen. Manche lassen uns einfach ungläubig und ratlos zurück und lassen das Sterben noch unfassbarer erscheinen, als es ohnehin schon ist. So wie jetzt bei Roger Willemsen. 60 Jahre alt durfte er werden. Doch nicht allein sein überschaubares Lebensalter irritiert.

Es ist vor allem das Gefühl, dass Willemsen, der Entertainer des Geistes, noch mitten unter uns und wortreich zu sein schien. Und dass seine Krebserkrankung - vermeldet erst im vergangenen August - allenfalls eine Auszeit provozierte. Undenkbar schien es, dass dieser Willemsen unterzukriegen, geschweige denn mundtot zu machen war. Der Tod erteilte uns jetzt eine neue Lehrstunde.

Wenige Wochen vor der Krebsdiagnose trafen wir Willemsen in Köln. Er, aufgekratzt wie immer, zumal der Anlass ein höchst erfreulicher war. Ihm war die Ehrengabe der Heine-Gesellschaft zuerkannt worden - ein Preis, mit dem vor ihm schon Herta Müller und Martin Walser, Ruth Klüger und Max Brod, Marcel Reich-Ranicki und Bernhard Schlink bedacht worden waren. Das machte ihn stolz, in der Reihe von Männern und Frauen zu stehen, die der Welt mit ihren Worten zu denken gaben.

Wie viele der Ausgezeichneten hat auch er sich als "Moralist" verstanden, als einer, der "zu wissen glaubt, was sein soll und was nicht sein soll". Es gab für ihn bestimmte Dinge, mit denen er sich nur konfrontieren konnte, indem er sich nicht einverstanden erklärte, wie er sagte. "Und das ist eine moralische Haltung."

Die Karriere des studierten und promovierten Germanisten und Kunsthistorikers hatte anders begonnen: Der Rekordinterviewer der Nation machte beim Pay-TV-Sender "Premiere" erstmals auf sich aufmerksam. 600 Interviews führte er mit Prominenten - von Audrey Hepburn bis Yassir Arafat. Dafür gab's den Grimme-Preis in Gold und eine Art Eintrittskarte ins seriöse Lager: Beim ZDF zeigte er mit "Willemsens Woche", wie intellektuell Unterhaltung sein kann. Oft wurde der Hüne Willemsen auf diesen geistreichen TV-Tripps von seinem kleinwüchsigen, an der Glasknochenkrankheit leidenden Freund begleitet, dem Jazzmusiker Michel Petrucciani.

Doch nachdem Willemsen die zumeist prominenten Menschen kennengelernt hatte, schien er auch die weniger prominente Welt besser verstehen zu wollen. Zusehends nahm daraufhin seine Fernseh- und Radio-Präsenz ab, zunehmend widmete er sich seinen Büchern.

Er hat dafür Deutschland im Zug bereist und ein unglaublich langes Jahr auf der Besuchertribüne des Deutschen Bundestages zugebracht; er hat Guantánamo-Häftlinge interviewt und ist immer wieder nach Afghanistan gereist. Er hat sich mit Leidensgeschichten konfrontiert und durfte dabei eine wertvolle Erfahrung machen: Wie sinnvoll es nämlich sein kann, "einfach nur Schulen zu bauen, ohne gleich ganze Systeme ändern zu wollen. Das kann man fast nur sentimental vermitteln. Aber es bedeutet mir wirklich viel." Jede Woche hat er sich neben seiner umfänglichen Arbeit auch Afghanistan gewidmet.

Mit seiner arbeitswütigen Brillanz und leichtfüßigen Perfektion war er manchem auch suspekt. Roger Willemsen war der, der alles gelesen hatte - natürlich auch die Klassiker - und darüber aus dem Stegreif parlieren konnte. Der alles gesehen und die halbe Welt bereist hatte. Der jeden kannte und mit fast jedem eng befreundet war - sogar mit Charlotte Roche, deren literarisch zweifelhafte Unternehmungen er mit Nachdruck unterstützte. Er war der, der auf jede Frage nicht nur eine Antwort hatte, sondern obendrein noch eine geistreiche. Der dabei unterhalten konnte und wollte. Der charmant und verbindlich blieb und nie gestresst zu sein schien.

Roger Willemsen über Tod, Leben und den Papst
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Roger Willemsen über Tod, Leben und den Papst

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Foto: dpa, abu lof

Roger Willemsen war immer ein Tick mehr als das, was man einen klugen Kopf nennen würde. Und vielleicht war er mit seinem schnellen Geist, seiner staunenswerten Beredsamkeit und seiner Offenheit derart überwältigend, dass man ihm manchmal auch zu misstrauen schien. Als müsste es irgendeinen Trick geben. Doch er hat - bei aller Selbstverliebtheit, die jedem anregenden Geist zugestanden werden muss - nie geblufft. Bis man sich einfach damit abfand, ihn als Ausnahmeerscheinung unseres Kulturlebens zu akzeptieren.

Wie viele politisch engagierte Intellektuelle musste sich auch der gebürtige Bonner die Frage gefallen lassen, was all sein Reisen und all die literarische Ausschöpfung seiner Begegnungen tatsächlich bringe. Roger Willemsen hat sich diese Frage nicht nur selbst gestellt. Er hat sie zu den Betroffenen gebracht.

Irgendwo im Norden Nepals war Willemsen in einem Flüchtlingslager und hatte dort an einer Konferenz teilgenommen. Als ihm alles erklärt worden war, sagte er den Leuten, dass er für sie politisch nichts tun könne. Darauf die Betroffenen: "Aber du kannst davon erzählen." Das tat Willemsen dann auch und hat sich wenigstens mit seinen Büchern vom Tod nicht den Mund verbieten lassen.

(los)
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