München Mario Adorf schenkt sich Erinnerungen

München · In seiner Autobiografie "Schauen Sie mal böse" schildert der Star Storys aus seinem turbulenten Leben. Am Dienstag wird er 85.

Für Jungs aus der Baby-Boomer-Generation war Mario Adorf lange Zeit verhasst, die Inkarnation des Bösen, dunkle Augen, schwarzer Bart, zähnefletschendes Grinsen. Als Santer hatte er im Film "Winnetou I" Nscho-tschi getötet, die engelsgleiche Schwester des Apachen-Häuptlings. Und war damit auf Jahre hinaus gebrandmarkt als Gangster, was sich entsprechend auf die Angebote niederschlug. Dass Adorf mit der Rolle oder ihrem Effekt haderte, ist lange vorbei. Es sei auch ganz schön, wenn man so gehasst werde von ein paar Generationen, sagte er in einem Interview. "Das ist besser, als unbemerkt zu bleiben." Unbemerkt blieb er freilich nie, war dazu viel zu präsent und ist es noch. Am Dienstag wird Mario Adorf 85 Jahre alt, und beschenkt hat er sich gleich selbst - mit einem autobiografischen Buch, dessen Titel sein Image ironisch bricht: "Schauen Sie mal böse" (Kiepenheuer & Witsch, 17,99 Euro).

Denn selbst das brachte Adorf als junger Schauspieler nicht zuwege, weil ihm das Diabolische nicht so lag. Also forderte Regisseur Robert Siodmark Adorf auf, böse zu schauen, wo er doch den Serienmörder Bruno Lüdke spielte im Film "Nachts, wenn der Teufel kam". Adorf gab sein Bestes, studierte während des Drehs die Verhörprotokolle der Polizei, peinigte den Regisseur mit Verbesserungsvorschlägen, schaute so böse, wie es ging, und bekam den Bundesfilmpreis. Bei der Vorstellung des Films, erzählt er im Buch, spielte er eine Szene in Handschellen vor. Weil er noch auf die Bühne der Kammerspiele musste, wurde der Schlüssel gesucht, aber nicht gefunden. Daraufhin raste Adorf bei der Polizei vorbei, in der Hoffnung, die Beamten könnten ihm helfen - aber niemand glaubte ihm auf der Wache, dass er Schauspieler sei. Am Ende kam er zu spät und in Handschellen ins Theater - wenigstens konnte man ihn dort von den Fesseln befreien.

Von der Art sind die launigen Anekdoten, die Adorf in seinem Memoirenband ausbreitet. Wie er als Schüler boxen lernte, weil ihn eine Bande verprügelte, und er es ihr heimzahlte. Wie er Menschen beobachtete, auch in heiklen Momenten, um Rollen überzeugend auszufüllen. Wie er auf der Schauspielschule bei einer Feier sang, einen Komponisten kennenlernte und als Sprecher für dessen Oper engagiert wurde. Wie er seinen Schauspielerkollegen Heinz Rühmann zum Lachen brachte. Und wie er nach einem Autounfall, knapp dem Tod entronnen, in den Rückspiegel schaute, "um mein Gesicht genau zu beobachten: Wie schaut einer aus, der gerade dem Tod von der Schippe gesprungen ist? Weiß ich jetzt mehr, könnte ich es abrufen, wiederherstellen, wenn ich es eines Tages darstellen müsste?"

Es sind Geschichten von einem, der sich nichts mehr beweisen muss, der auf ein souveränes Lebenswerk zurückblickt, auf Figuren, die sich eingebrannt haben ins kollektive Filmgedächtnis. Den Fabrikanten Heini Haffenloher in "Kir Royal" ("Ich scheiß Dich sowat von zu mit meinem Geld") zum Beispiel, den Nazi Alfred Matzerath in "Die Blechtrommel", den Patriarchen Bellheim in "Der große Bellheim". Mehr als 140 Rollen hat Adorf gespielt, die "Bild am Sonntag" erklärte ihn laut einer repräsentativen Umfrage zum beliebtesten Schauspieler Deutschlands, und ein Filmpreis-Laudator pries ihn gar als "Star aller Filmstars Deutschlands". Mehr geht nun wirklich nicht.

Trotz des großen Erfolgs hat sich Adorf eine gewisse hemdsärmelige Bodenständigkeit bewahrt, auch ein Zugeständnis an seine Kindheit in der Eifel. Aufgewachsen in Mayen als nicht-ehelicher Sohn einer Röntgenassistentin und eines Chirurgen aus Kalabrien hat er schon während seines Studiums der Philosophie und Theaterwissenschaften mit den Künsten geliebäugelt - zunächst wollte er Bildhauer werden, wählte jedoch die Schauspielerei. Aber selbst als Star, der er bald war, verbot er sich jeden Höhenflug, wie er in seinem Buch schreibt: "Ich habe einfach gesagt: Bleib auf dem Boden, schau wer du bist, schau, wie du aussiehst, erfülle deine Möglichkeiten, aber wolle nicht mehr."

Vielleicht fliegen Adorf auch deshalb bis heute die Herzen zu. Längst hat er sich imagetechnisch vom Bösewicht zum Grandseigneur gewandelt, wirbt für Versicherungen, hält Büttenreden, tritt auch mal bei Carmen Nebel auf. Aber heute wird ihm alles verziehen, weil er eine Art Übervater des deutschen Films geworden ist, auch im Leben einer der letzten Patriarchen.

Übrigens: Adorf ist bei den "Winnetou"-Dreharbeiten Marie Versini, der Nscho-tschi-Darstellerin, nie begegnet. In der Szene, in der Santer Winnetous Schwester tötet, schießt Adorf in die Landschaft. Er war eben ein Böser mit einem guten Herz.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort