Diskussion um Änderung von Straßennamen Münster verbannt Hindenburg

Düsseldorf/Münster · Der Münsteraner Rat hat beschlossen, den mitten in der Stadt gelegenen Hindenburgplatz umzubenennen. Über 65 Jahre war zuvor immer wieder um den Namen gestritten worden. Hindenburg aber ist kein Einzelfall: Straßennamen, die Männer und Frauen aus dem Dunstkreis des NS-Regimes ehren, gibt es nach wie vor reichlich, auch in der Region.

 Paul von Hindenburg hatte Adolf Hitler am 30. Januar 1933 zum Regierungschef ernannt.

Paul von Hindenburg hatte Adolf Hitler am 30. Januar 1933 zum Regierungschef ernannt.

Foto: NGZ

Sechseinhalb Jahrzehnte dauerte der Streit. Jetzt gibt es eine Entscheidung: Der Hindenburgplatz in Münster soll nicht mehr Hindenburgplatz heißen, sondern Schlossplatz. So hat es der Münsteraner Rat entschieden, mit 53 zu 23 Stimmen. "Hindenburg steht persönlich und unmittelbar im Verhängnis historischer Entscheidungen, die zu unermesslichem Leid und Elend geführt haben", heißt es im Entschließungsantrag von Oberbürgermeister Markus Lewe (CDU): "Er kann kein politisches Vorbild sein. Ihm gebührt keine öffentliche Ehrung." Es war der sechste Anlauf: Eine Anordnung des nordrhein-westfälischen Innenministeriums und des Münsteraner Regierungspräsidiums zur Umbenennung von 1947 wurde nie umgesetzt; weitere Initiativen scheiterten 1958, 1974, 1987 und 1998 am Beharrungsvermögen von Rat und Verwaltung.

Der Hindenburgplatz ist sozusagen Münsters Schaufenster — gelegen vor dem fürstbischöflichen Schloss, dem heutigen Sitz der Universität, in der Sichtachse zu Dom und Lambertikirche. In der Stadt wird gern behauptet, es handele sich nach dem Roten Platz in Moskau um den zweitgrößten innerstädtischen Platz Europas. An so zentraler Stelle also erinnerte man bisher an Paul von Hindenburg (1847-1934), den 1925 gewählten letzten Reichspräsidenten der Weimarer Republik, der von Demokratie nicht viel hielt, der seine Kanzler gegen den Reichstag regieren ließ und der schließlich am 30. Januar 1933 Adolf Hitler zum Regierungschef ernannte.

"Hindenburg hat erst spät die Verfassungsgrundsätze der Weimarer Republik verletzt, dann aber umso massiver", sagt Hans-Ulrich Thamer, ehemals Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Uni Münster. Er hat sich selbst für die Umbenennung eingesetzt: "Das ist in diesem Fall eine ganz einfache Bewertung."

Der Hindenburgplatz ist ein krasses Beispiel — wegen der schieren Unendlichkeit der Debatte in der Stadt, wegen der Prominenz des Geehrten, aber auch wegen der Bedeutung des Ortes. Auch nach der Münsteraner Ratsentscheidung aber bleibt der letzte Weimarer Präsident auf Stadtplänen und Landkarten präsent: mit dem Hindenburgdamm, über den die Züge nach Sylt dampfen, bis zu dutzendweise Hindenburgalleen, -plätzen und -straßen von Berlin bis Bayreuth. Auch Meerbusch, Viersen, Korschenbroich und Leverkusen erinnern so an den Totengräber der Weimarer Demokratie.

In Mönchengladbach ist sogar die Haupteinkaufsstraße nach Hindenburg benannt. Bei der Stadt hält man sich in Sachen Umbenennung bedeckt. Die Hindenburgstraße heiße seit 1916 so, sagt Stadtarchivar Christian Wolfsberger: "Damals konnte man noch nicht wissen, dass Hindenburg einmal zum Steigbügelhalter Hitlers wird." Die Krefelder Straße sei damals umbenannt worden, um Hindenburg für den Sieg in der Schlacht bei Tannenberg 1914 zu ehren. Die "Allgemeinen Richtlinien" der Stadt "für die Straßenbenennung und für die Nummerierung von Gebäuden" bestimmen gleich zu Beginn, Be- und Umbenennungsverfahren würden "aus Gründen der Gefahrenabwehr" eingeleitet. Ausnahmen freilich wären möglich. Doch Wilhelm Palmen vom Fachbereich Geoinformationen der Stadtverwaltung sagt, er habe Oberbürgermeister Norbert Bude (SPD) vor einigen Monaten geraten "abzuwarten, was in anderen Städten passiert".

Auch jenseits von Hindenburg gibt es reichlich Straßennamen, die Männer und Frauen aus dem Dunstkreis des NS-Regimes ehren. Fünf Beispiele:

Carl Diem (1882-1962) Der Sportfunktionär galt den Nazis zwar zunächst als "politisch unzuverlässig", wurde aber trotzdem 1936 Generalsekretär des Organisationskomitees der Olympischen Spiele in Berlin, die die Nazis zur gigantischen Propaganda-Bühne umfunktionierten. Danach stieg Diem zum Chef des "Olympischen Instituts" auf und publizierte nationalsozialistische Sportpropaganda. Von ihm ist der Satz überliefert: "Der Krieg ist der vornehmste und ursprünglichste Sport." Nach dem Krieg wird er Gründungsrektor der Deutschen Sporthochschule in Köln. 2007 verschwand der "Carl-Diem-Weg" in Köln. 2009 entschied der Pulheimer Stadtrat, die Carl-Diem-Straße umzubenennen. Grevenbroich und Neuss zogen 2010 nach. Krefeld freilich hat bis heute einen Carl-Diem-Weg, Mönchengladbach (erst seit 1975) eine Carl-Diem-Straße.

Agnes Miegel (1879-1964) Die in Königsberg geborene Dichterin bewunderte Adolf Hitler; 1940 trat sie in die NSDAP ein. Schon 1934 hatte sie bekannt: "Ich bin Nationalsozialist." Und 1939 huldigte sie Hitler mit den Worten: "Ich traue auf Gott und den Führer — nicht so kindlich-bequem, wie viele es tun, sondern so, wie man als Deutscher und Ostgermane dem Schicksal vertraut." Von ihrer Nähe zum Nationalsozialismus hat Miegel sich auch nach dem Krieg nicht distanziert: "Dies habe ich mit meinem Gott alleine abzumachen und mit niemand sonst." Zahlreiche Agnes-Miegel-Schulen sind mittlerweile umbenannt, unter anderem in Düsseldorf und Willich; ähnlich erging es vielen Agnes-Miegel-Wegen und -Straßen. In Münster kam die mit Politikern und Experten besetzte "Kommission Straßennamen" 2011 zu dem Schluss, die Dichterin sei "eine Stütze des NS-Regimes im Bereich Kultur" gewesen. Nach Agnes Miegel benannte Straßen gibt es weiterhin in Kamp-Lintfort, Velbert und Wuppertal.

Hans Meiser (1881-1956) 1933 wurde der evangelische Theologe bayerischer Landesbischof. Meiser war Antisemit. Der "jüdische Geist" habe "für uns etwas Wesensfremdes", hatte er bereits 1926 geschrieben, "etwas Zerfressendes, Ätzendes, Auflösendes". Weil er sich aber später von der Judenverfolgung der Nationalsozialisten abgrenzte, war er dem Regime suspekt — Meisers Landeskirche half unter anderem Opfern der Nürnberger Rassengesetze. Er war deshalb nach 1945 auch bei den jüdischen Gemeinden anerkannt; seine Rolle ist bis heute umstritten. Noch 2008 beschloss eine Münchner Kirchengemeinde, ihren Gemeindesaal nach Meiser zu benennen; gleichzeitig wurde nach heftigem Streit 2010 die Hans-Meiser-Straße in München umbenannt. Bayreuth und Weiden in der Oberpfalz lehnten eine Umbenennung ab.

Hermann Stehr (1864-1940) Der deutschnationale Schriftsteller rechtfertigte 1934 die Ermordung führender SA-Männer und weiterer Regimegegner ("Der alte Kämpfer Hitler ist mit den Landesverrätern in einer Nacht fertig geworden"). Die nationalsozialistische Kulturpolitik pries er für ihre "völkische Erdverbundenheit". Zur "Volksabstimmung" nach dem Anschluss Österreichs 1938 schrieb Stehr: "Uns sollen die Zähne ausfallen und die Zunge im Munde verdorren, wenn wir nicht dem Führer und seinen Taten ein begeistertes Ja zurufen." Nach Stehr benannte Wege und Straßen gibt es unter anderem in Köln, Ratingen und Velbert.

Karl Wagenfeld (1869-1939) Der westfälische Heimatforscher und Mundartdichter wurde 1933 Mitglied der NSDAP, schrieb allerdings an einen Freund: "Dass das keinen Gesinnungswandel bedeutet, wissen Sie. Wer in mir einen Konjunkturjäger sehen sollte, dem schlage ich in die Fresse." Das hielt ihn nicht davon ab, beim "Westfalentag" im September Hitler einen "herzlichen Dank" zuzurufen. Wagenfeld entbot "ihm und seinem großen Werke ein frommes ,Guod help!', ein hoffnungsreiches ,Glückauf', ein mannhaftes ,Sieg Heil!'". Die Nazis ehrten den Dichter 1939 mit dem Westfälischen Literaturpreis und mit einer Ehrengabe Hitlers. Der Historiker Karl Ditt bescheinigte Wagenfeld auf einer Tagung 2011 ein "völkisch-konservatives Weltbild", das "mehr Anknüpfungspunkte als Unterschiede zur NS-Ideologie" aufweise, sprach sich aber zugleich gegen Straßen-Unbenennungen aus. Nach Wagenfeld sind in Westfalen Dutzende Straßen, Wege, Plätze und Schulen benannt, unter anderem in Münster.

Deutschlands Erinnerungskultur ist in Bewegung. Landauf, landab wird gestritten, welcher Akteur aus den 30er und 40er Jahren heute noch würdig ist, im öffentlichen Raum geehrt zu werden. Die Diskussion sei jüngst wieder lauter geworden, meint Rainer Pöppinghege, Historiker an der Uni Paderborn: "Das liegt erstens an neuen Erkenntnissen der Forschung auch über Akteure aus der zweiten und dritten Reihe, zweitens an der besseren Zugänglichkeit und Vergleichbarkeit von Informationen über das Internet und drittens an einem wachsenden kritischen Bewusstsein in der Bevölkerung." Zunehmend richtet sich das Interesse dabei auf Mitläufer und Unterstützer, die nicht schon vor 1933 zur "Bewegung" gehörten. Direkt nach dem Krieg seien Umbenennungen in dieser Kategorie der zweiten und dritten Reihe "im Großen und Ganzen kein Thema" gewesen, sagt Pöppinghege: "Die Adolf-Hitler-Plätze und Straßen der SA hatte man ja bereits beseitigt."

Grauzonen gibt es, wie gesehen, reichlich. So steigt mit der Intensität der Debatte auch die Zahl der Zweifelsfälle: Disqualifizieren zum Beispiel Sympathien für den Nationalsozialismus für die Ehrung mit einem Straßennamen? Wie ist Bischof Meisers Lavieren zu bewerten? Wer war Verführter, wer Verführer? Und wo ist die Grenze zu ziehen? "Ein Zweifelsfall ist eine Straßenumbenennung letztlich immer — nur sind manche Fälle leichter zu entscheiden als andere", sagt Pöppinghege: "Hindenburg und Miegel scheinen mir keine Vorbilder zu sein. Einziges Kriterium darf die Lebensleistung sein" - und da sei grundsätzlich zu fragen, ob nicht ein anderer geeigneter sei. Den Wissenschaftler bekümmert dabei freilich eins: "Der Forschungsstand wird keineswegs immer zur Kenntnis genommen. In vielen Kommunen kommt die Diskussion erst jetzt an, mit Jahrzehnten Verzögerung."

Pöppingheges Münsteraner Kollege Thamer sagt: "Grundsätzlich ist zu fragen, ob die Person Positionen vertreten hat, die mit den allgemeinen Grundrechten in Übereinstimmung zu bringen sind." Konkret auf die NS-Zeit bezogen heiße das: "Die Grenze ist da, wo die Verfassungsgrundsätze der Weimarer Republik verletzt worden sind." Wie bei Hindenburg.

Bei einer Gruppe stoßen die Umbenennungen fast immer auf Ablehnung: den Anwohnern. So setzten sich etwa Grevenbroicher (vergeblich) für ihre Carl-Diem-Straße ein. Und in Münster stimmte bei einer Umfrage zwar fast die Hälfte der Befragten der Aussage zu, es gebe keinen Anlass mehr für die Ehrung Hindenburgs durch einen Straßennamen — zugleich aber sagten fast 60 Prozent, anrüchige Straßennamen sollten entweder bleiben oder lediglich durch ein Zusatzschild als solche kenntlich gemacht werden. "Umbenennungen geschehen fast immer gegen den Willen der Anwohner. Das hat pragmatische Gründe: Viele wollen einfach ihre Adresse nicht ändern", sagt Pöppinghege — und fügt hinzu: "Die Ehrungsfunktion tritt in solchen Fällen völlig in den Hintergrund und wird nicht mehr ernstgenommen. Mit diesem Argument könnte man letztlich auch eine Adolf-Hitler-Straße behalten."

Der Streit um den Münsteraner Hindenburgplatz könnte trotz Ratsbeschluss ein Nachspiel haben: Die Gegner der Umbenennung haben ein Volksbegehren angekündigt. Von "dumpfer Ablehnung" spricht Hindenburg-Gegner Thamer. Binnen drei Monaten müssen die Hindenburg-Anhänger nun knapp 9500 Stimmen sammeln. Auch nach 65 Jahren ist der Streit um die Geschichte auf dem Straßenschild noch nicht beendet.

(RP/das/csi)
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