"Nackt unter Wölfen" Die Rettung des Buchenwaldkindes

Düsseldorf · Morgen wird in der ARD die Neuverfilmung "Nackt unter Wölfen" nach dem berühmten Roman von Bruno Apitz gezeigt. Das Werk erzählt vom Überleben eines dreijährigen jüdischen Jungen im Konzentrationslager.

Rund 50 Jahre nach der Erstverfilmung zeigt die ARD eine Neufassung von "Nackt unter Wölfen".

Rund 50 Jahre nach der Erstverfilmung zeigt die ARD eine Neufassung von "Nackt unter Wölfen".

Foto: MDR/UFA FICTION

Es gibt nichts Unschuldigeres und Hilfloseres als ein kleines Kind. Und nichts Barbarischeres und Gewalttätigeres als ein Konzentrationslager der Nazis. Wer beides zusammenbringt, begibt sich in die Randzone existenzieller Erfahrung. Der Schriftsteller Bruno Apitz (1900 - 1979) hat genau das in seinem Roman "Nackt unter Wölfen" 1958 unternommen - mit der Geschichte eines dreijährigen Juden, der von politischen Häftlingen im Konzentrationslager von Buchenwald versteckt, ernährt und schließlich bis zur Befreiung vor 70 Jahren gerettet wird.

Das klingt ein bisschen nach Spielberg-Drama. Doch ganz so marktgerecht erzählt Apitz die übrigens wahre Begebenheit doch nicht. Verrat und Missgunst herrschen auch unter den Häftlingen, manche befürchten, dass mit dem Kind die kommunistische Widerstandsbewegung des Lagers enttarnt werden könnte. Es gibt Folterungen und Tote unter den Beschützern.

Der Apitz-Roman ist in über 30 Sprachen übersetzt worden. Und schon 1963 verfilmte die DEFA das Buch, das in der DDR zur Hymne auf die vor allem kommunistische Solidarität wurde; zum hohen Lied des moralisch siegreichen sozialistischen Menschen über die braune Barbarei. Roman und Film wurden so zu Bausteinen des antifaschistischen Gründungsmythos der DDR.

Dass morgen eine Art westdeutsche Neuverfilmung in der ARD gezeigt wird, macht diese Geschichte auch zu einer deutsch-deutschen Erzählung. Und die bemüht sich im zweiten Anlauf um mehr historische Genauigkeit und um weniger Pathos. Vor allem wurde die Handlung kräftig entideologisiert. Stattdessen müht sich Regisseur Philipp Kadelbach um etwas, was man drastische KZ-Realität nennen könnte: mit dem Dreck überall und den abgemagerten Leibern, dem Dunst und dem Schweiß, dem Grauen des allgegenwärtigen Todes und der Apathie der Hoffnungslosen. Die Ankunft des Koffers in dieser KZ-Welt wird zu einer Geburtsszene: Wie ein Embryo liegt der Junge eingerollt im Gepäckstück, betrachtet voller Neugier die Häftlinge um ihn herum und verkrümelt sich in Windeseile bei dem Wort "SS". Die Botschaft ist klar, dieser Junge hat seine ersten Überlebenslektionen bereits hinter sich; weitere werden in Buchenwald folgen.

Dennoch scheint mit dem Findelkind ein wenig Menschlichkeit an die Stätte von Folter und Mord gekommen zu sein. Das irritiert manche. Vor allem die geheimen Widerstandskämpfer, die ihre Aufstandspläne durch das Kind - nicht zu Unrecht - gefährdet sehen. Und darin liegt die eigentliche Qualität des konventionell gedrehten Films: nämlich zu zeigen, wie Ideologen wankelmütig werden und wie sie ihre Organisation für ein Kinderleben aufs Spiel setzen. Zwar geht es weiter ums nackte Überleben. Jetzt aber nicht nur um das eigene. Ein Wandel, der sich zunächst langsam und wenig heldenhaft in der Figur des Kapo André Höfel vollzieht. Grandios, wie Peter Schneider diese Rückkehr zum Mitgefühl spielt, wie er im bluttriefenden Folterkeller um sein Leben schreit und wimmert, wie er zittert vor Angst - und das Kind dennoch nicht verrät.

"Nackt unter Wölfen" ist knapp 70 Jahre nach der Buchenwald-Befreiung und gut 50 Jahre nach seiner ideologisch aufgeladenen Erstverfilmung im deutschen Westen angekommen. Das sollte zur Auseinandersetzung mit einem Werk ermuntern, über das zu diskutieren sich weiter lohnt. So wird für die jüdische Autorin und KZ-Überlebende Ruth Klüger durch die Geschichte vom geretteten Buchenwaldkind der Völkermord bloß verkitscht und infantilisiert. Auch die Rettung des Jungen, der von Buchenwald nach Auschwitz verlegt und so in den sicheren Tod geschickt werden sollte, wird heute anders gesehen. Zwar erreichten die Männer damals, dass das Kind von den Transportlisten gestrichen wurde. Auf seinen Platz aber wurde der 16-jährige Sinti-Junge Willy Blum gesetzt und nach Auschwitz geschickt.

(RP)
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