München Nazi-Schatten über den "Derrick"-Krimis

München · Der frühere SS-Mann Herbert Reinecker erfand die "Derrick"-Figur und schrieb die 281 Drehbücher. Der frühere SS-Mann Horst Tappert stellte den ewigen Oberinspektor dar.

In der allerletzten "Derrick"-Folge, ausgestrahlt im Oktober 1998, hält der ewige Oberinspektor eine verbitterte Rede. Der Drehbuchautor Herbert Reinecker lässt den Schauspieler Horst Tappert darin sagen: "Wertvorstellungen, die waren, naja besonders nach dem Krieg, wie ein Gehäuse, in dem sich der Mensch frei und relativ sicher bewegen konnte." Dass nicht nur Reinecker, sondern auch Tappert Mitglied der SS war, gibt Sätzen über Wertvorstellungen, die die Nazi-Zeit überdauert haben, noch nachträglich einen unguten Klang.

Reinecker begleitete zeitweise als Kriegsberichterstatter die "Totenkopf"-Einheit der SS, in der Tappert als Grenadier eingesetzt war. Kritiker haben dem Autoren immer vorgehalten, seine "Wertvorstellungen" nie wirklich revidiert zu haben und erblickten noch im von ihm erfundenen "Traumschiff" einen getarnten Dampfer der Nazi-Organisation "Kraft durch Freude".

In Reineckers 281 "Derrick"-Drehbüchern wie auch in der Figur des Oberinspektors Stephan Derrick findet sich keine offene oder direkte Nazi-Ideologie wieder. Und doch liegt ein ganz anderer Nazi-Schatten über den "Derrick"-Krimis wie über Reineckers fast gesamtem Werk: Überall agieren Figuren ohne klare Vergangenheit in einer konservativ geprägten Welt, in der Verbrechen und Störungen der Ordnung nahezu ausschließlich als individuelle Verfehlungen ohne jeden gesellschaftlichen oder politischen Hintergrund vorkommen.

Nach der Ausstrahlung der letzten Folge fragte sich der "Zeit"-Autor Jörg Lau, was der Zuschauer eigentlich über die Figur des Stephan Deerick weiß: "Wir wissen es nicht, aber wir können vermuten, dass Stephan Derrick im Krieg war, vielleicht noch ganz am Ende, als junger Mann, an irgendeiner Front. Er hat Ähnlichkeit mit jenen ,hohlen Männern', die aus dem Krieg ins Zivilleben zurückkehrten und doch nie wieder heimisch wurden, die nie wieder ,innen schön wohnen' konnten. Er spricht nicht darüber. Vielleicht hat er einmal an etwas geglaubt. Jedenfalls sind ihm die tiefen Blicke anzumerken, die er in die ,Menschen-Mörderwelt' (Reinecker) hat werfen müssen." Im Nachhinein wird verständlich, dass Horst Tappert die verschwiegene Vergangenheit wohl auch aus dem eigenen Verschweigen besonders glaubwürdig darstellen konnte.

Der italienische Schriftsteller und Wissenschaftler Umberto Eco erblickte Mitte der 80er Jahre in der "Derrick"-Figur eine verstörende "Leidenschaft für das Mittelmaß" und stellte sie in Kontrast zu der Figur des amerikanischen Inspektors Columbo: Columbo bewege sich mit proletarischen Manieren in einer Welt schöner, reicher und mächtiger Kalifornier, die er mit psychologischen Tricks von perfider Raffiniertheit in die Enge treibe und sie schließlich zu Fall bringe, indem er gerade ihren Dünkel ausnütze. Derrick dagegen, so Eco, finde die Wahrheit am Ende nicht deshalb heraus, weil er so verteufelt intelligent sei, sondern weil er Verständnis für seinen Gesprächspartner habe und am Ende regelrecht leide, "weil er den Schuldigen von Anfang an gemocht, ja wie ein Onkel geliebt hat". Fast alle Täter werden bei Reinecker schuldig, ohne richtig schuldig zu sein, irgendwie sind sie Opfer ihrer selbst. Vielleicht glaubt man so etwas gern, wenn man selbst etwas zu verschweigen hat.

(RP)
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