Vor vier Jahren flog die Terrorzelle auf Die acht größten Skandale rund um den NSU

Düsseldorf · Vor vier Jahren, am 4. November 2011, flog die Gruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" auf. Seitdem sind immer neue Verfehlungen bei den Ermittlungen und im NSU-Prozess ans Licht gekommen. Wir haben die acht größten Skandale aus dieser Zeit zusammengefasst.

Das Neonazi-Trio und seine Helfer
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Foto: dapd, BKA/Ostthueringer Zeitung

Am 4. November 2011 brannte in Eisenach in Thüringen ein Wohnmobil. Zuvor hatten zwei Männer eine Sparkasse überfallen und waren geflohen, die Polizei suchte mit einer Großfahndung nach den beiden. Im Inneren des verbrannten Wohnmobils fand die Polizei die Leichen von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. Außerdem fanden die Beamten mehrere Waffen, darunter eine Dienstwaffe einer 2007 in Heilbronn getöteten Polizistin sowie die ihres damals schwer verletzten Kollegen. Die Polizei nahm die Ermittlungen auf — und kam nach und nach der Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" auf die Spur. Und den zahlreichen Morden und Anschlägen, die die Gruppe seit den 90er Jahren begangen hatte.

Es ist der vielleicht größte Skandal im Zusammenhang mit den Ermittlungen zur Terrorzelle NSU: Bei all den Anschlägen und Morden, die mit großer Wahrscheinlichkeit der Gruppe zugeordnet werden können, hat die Polizei nie in Richtung eines rechtsextremistischen Hintergrundes ermittelt. Besonders bitter muss die Situation zum Beispiel für die Opfer aus der Kölner Keupstraße gewesen sein. Damals wurde gegen die betroffenen Ladenbesitzer der Vorwurf erhoben, sie hätten den Nagelbomben-Anschlag selbst verübt, um von der Versicherung Geld für den Schaden zu bekommen. Bei dem Anschlag wurden 22 Menschen verletzt, mehrere davon lebensgefährlich. An den Läden in der Straße entstand erheblicher Sachschaden.

Niemand habe es wissen können. Die Terroristen hätten ja keine Bekennerschreiben verschickt. So lauteten am 4. November 2011 die Auskünfte sämtlicher Sicherheitsbehörden und der Innenministerien von Bund und Ländern.

Am 11. November 2011, wenige Tage, nachdem die Polizei nach dem Tod von Böhnhardt und Mundlos begonnen hatte, in Richtung NSU zu ermitteln, ordnete ein Referatsleiter im Dienstgebäude des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Köln an, umfangreiche Akten einer Geheimdienstoperation im Umfeld des NSU zu vernichten. Der Generalbundesanwalt hatte die Akten angefordert. Der Referatsleiter datierte die Vernichtung der Papiere anschließend auf Februar 2011 zurück, um den Vorgang zu vertuschen. Die vernichteten Akten bezogen sich auf die Operation "Rennsteig". Dabei ging es um die rechtsextreme Gruppe "Thüringer Heimatschutz" und ihre Verbindung zum Verfassungsschutz. Der NSU soll aus der Gruppe hervorgegangen sein.

Chronologie: Was nach dem NSU-Desaster geschah
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Foto: dpa, fpt fdt

Die Vernichtung der Akten in Köln war nur die Spitze des Eisbergs. Im Laufe der Ermittlungen kam heraus, dass die V-Leute des Verfassungsschutzes tiefer mit dem rechtsextremen Untergrund verstrickt waren, als es zunächst den Anschein gehabt hatte. Das gilt nicht nur im Zusammenhang mit dem NSU, wurde aber im Laufe der Ermittlungen zu der Terrorzelle öffentlich bekannt. Diejenigen, die den Verfassungsschutz über den NSU informierten, waren nicht nur unauffällige Mitläufer. Stattdessen gab es kaum eine Gruppe rund um den NSU, die nicht von Geheimdienst-Spitzeln angeführt oder gegründet wurde. Inwiefern diese die Geheimdienste mithilfe von Fehlinformationen auf eine falsche Fährte, sprich weg vom NSU, lenkten, ist nach wie vor unklar.

Dafür gibt es einige Anzeichen. So sagte ein Polizist im Juni 2013 im bayerischen Untersuchungsausschuss aus, der Begriff "NSU" sei bereits 2007 während einer Dienstbesprechung gefallen. Der Hinweis sei aus der Führungsebene des thüringischen und sächsischen Verfassungsschutzes gekommen. Wenn der NSU für die Verfassungshüter also offenbar schon seit Jahren ein Begriff war, bleibt die Frage, warum nicht dementsprechend gehandelt wurde.

Die Ermittler kamen schon lange vor dem 4. November 2011 in Berührung mit Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe. So durchsuchte die Polizei am 26. Januar 1998 im Rahmen einer Razzia gegen mutmaßliche Rechtsextremisten eine von Zschäpe angemietete Garage. Darin hob sie eine regelrechte Bomben-Werkstatt aus. Unter anderem wurden vier funktionstüchtige Rohrbomben und 1,4 Kilo Sprengstoff sichergestellt. Festgenommen wurden Zschäpe oder auch Böhnhardt, der während der Durchsuchung anfangs sogar anwesend war, jedoch nicht. Das Ermittlungsverfahren wurde später wegen Verjährung eingestellt. Nach dem Bombenfund tauchten Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe in den Untergrund ab.

Am 2. Juli 2012 räumte nach den schweren Ermittlungspannen schließlich der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, seinen Posten.

Die Opfer der Terrorzelle NSU
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Der NSU-Prozess findet im Strafjustizzentrum in München statt. Da der Saal angesichts des großen Medieninteresses nicht genug Platz für alle Journalisten bot, wurden die Akkreditierungen im März 2013 im "Windhundverfahren" vergeben. Die Journalisten, die sich zuerst angemeldet hatten, wurden zugelassen. Vertreter türkischer Medien ergatterten in diesem Verfahren keinen festen Platz im Gerichtssaal, obwohl das Interesse in der Türkei an dem Prozess groß ist, da unter den NSU-Opfern mehrere Türken waren.

Die türkische Zeitung "Sabah" stellte daraufhin einen Eilantrag beim Bundesverfassungsgericht, und die Akkreditierungen mussten neu vergeben werden. Der Prozessbeginn wurde um mehrere Wochen auf den 6. Mai 2013 verschoben. Im neuen Akkreditierungsverfahren wurden die Plätze per Los vergeben, allerdings wurden Kontingente gebildet, in denen unter anderem für türkisch, persisch und griechisch publizierende Medien Plätze reserviert wurden. Doch auch in diesem neuen Verfahren unterliefen dem Gericht mehrere Fehler. Der schwerwiegendste: Die Anmeldungen von mehreren Journalisten landeten im Spam-E-Mail-Ordner des Gerichts und wurden deshalb im Losvefahren nicht berücksichtigt.

Beate Zschäpe ist die Hauptangeklagte im NSU-Prozess. Mit ihren drei Pflichtverteidigern Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm ist sie nicht zufrieden. Am 16. Juli 2014 gab Zschäpe bei Gericht an, kein Vertrauen mehr in ihre Pflichtverteidiger zu haben. Das Gericht lehnte ihren Antrag auf neue Verteidiger ab. Doch die Abneigung beruht offenbar auf Gegenseitigkeit: Am 20. Juli 2015 waren es dann Sturm, Stahl und Heer, die versuchten, ihre Mandate für Zschäpe loszuwerden. Das Gericht lehnte auch diesen Antrag ab.

Es ist der neueste Skandal in der Reihe: Im Oktober 2015 wurde bekannt, dass es die Nebenklägerin "Meral Keskin" gar nicht gibt. Das Opfer eines NSU-Bombenanschlages wurde erfunden. Der Betrug war aufgefallen, als der Richter den Anwalt des vermeintlichen Opfers aufgefordert hatte, dafür zu sorgen, dass Keskin persönlich vor Gericht erscheint.

Zweieinhalb Jahre lang hatte Rechtsanwalt Ralph Willms das nicht existierende Opfer im NSU-Prozess vertreten. Ein anderes — offenbar echtes — Opfer des Kölner Bombenanschlags im Jahr 2004 hätte ihm die Mandantin vermittelt und dafür eine Provision verlangt, sagte Willms. Für seine Anwaltstätigkeit war Willms aus der Staatskasse bezahlt worden. Außerdem hatte er für "Meral Keskin" eine Härtefallentschädigung der Bundesregierung in Höhe von 5000 Euro entgegengenommen.

(lsa)
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