Prozess in München Zschäpe bestreitet NSU-Mitgliedschaft

München · Mehr als zweieinhalb Jahre lang hat Beate Zschäpe geschwiegen. Nun hat ihr Anwalt ihre 53 Seiten lange Aussage im Münchner NSU-Prozess verlesen. Von den Morden und Anschlägen will sie erst im Nachhinein erfahren haben. Sie bestreitet auch, überhaupt NSU-Mitglied gewesen zu sein.

Beate Zschäpe – der Tag ihrer Aussage vor Gericht
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Foto: dpa, tha htf

Als Zschäpe den Gerichtssal betritt, tut sie dies mit einem Lächeln, wirkt gelöst. Und sie lässt sich erstmals freiwillig fotografieren. In den vorangegangenen Verhandlungstagen hatte sie den Kameras stets den Rücken zugewandt, nun setzt sie sich sofort zwischen ihre Verteidiger.

Direkt nach Beginn der Verhandlung startet ihr Anwalt mit der Verlesung der Aussage der Hauptangeklagten des NSU-Prozesses. Zschäpe will auch Fragen beantworten — aber nur die des Gerichts und nur schriftlich und erst später. Grasel hat den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl um einen schriftlichen Fragenkatalog gebeten.

NSU-Prozess: Beate Zschäpe vor Gericht
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Die Aussage Zschäpes, die ihr Anwalt verliest, beginnt mit ihrer Kindheit in Jena in der damaligen DDR. Sie berichtet von Alkoholproblemen und Streitigkeiten mit ihrer Mutter. Von der Mutter habe sie so gut wie kein Geld bekommen, sodass sie sich an kleineren Diebstählen habe beteiligten müssen. Dann geht es um ihre Beziehung zu den beiden anderen mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. In der Aussage heißt es: An ihrem 19. Geburtstag habe sie Böhnhardt kennengelernt. Sie habe sich in ihn verliebt, sei aber noch mit Mundlos zusammen gewesen. Kurz nach Mundlos' Wehrdienst hätten sie sich getrennt. Anschließend sei sie eine Beziehung mit Böhnhardt eingegangen. So sei sie stärker in Kontakt zu Böhnhardts Freunden gekommen, die nationalistischer eingestellt gewesen seien als die von Mundlos.

Zschäpe gesteht, vom ersten Raubüberfall ihrer Freunde Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gewusst zu haben. Sie sei aber weder an der Vorbereitung noch an der Durchführung beteiligt gewesen. In der Aussage heißt es: Nach ihrem Untertauchen hätten die drei Ende 1998 in ständiger Angst gelebt, entdeckt zu werden. Das Geld sei ihnen ausgegangen. Böhnhardt habe daher vorgeschlagen, einen Bankraub in Chemnitz zu begehen. Zschäpe hatte nach eigenen Angaben zu viel Angst, sich daran zu beteiligen. "Sie wollten mich ganz bewusst nicht dabei haben." Mundlos und Böhnhardt hätten ihr zuvor auch nichts von Rohrbomben und Sprengstoff erzählt, mit denen sie hantierten. Sie habe diese Überfälle akzeptiert und davon profitiert.

Auch eine Beteiligung am ersten NSU-Mord bestreitet sie vor Gericht. Demnach hatten Mundlos und Böhnhardt im September 2000 in Nürnberg den türkischen Blumenhändler Enver Simsek erschossen. Sie habe erst drei Monate danach davon erfahren, ließ Zschäpe erklären — und sei damals "ausgerastet". Bis heute kenne sie das Motiv für den Mord nicht. Sie habe den beiden erklärt, dass sie sich der Polizei stellen wolle. Daraufhin hätten Mundlos und Böhnhardt mit Selbstmord gedroht.

Die ZDF-Korrespondentin Sarah Tacke, die vor Ort ist, interpretiert die bisherige Aussage so:

Ebenso bestreitet sie, am ersten Kölner Bombenanschlag im Januar 2001 beteiligt gewesen zu sein. Böhnhardt habe in einem iranischen Lebensmittelgeschäft einen Korb mit dem Sprengsatz deponiert. Bei der Explosion wurde die 19-jährige Tochter des Inhabers schwer verletzt. Vom Bau der Bombe habe Zschäpe nichts mitbekommen, heißt es in der Erklärung. Diese habe Böhnhardt gebaut. Mundlos habe vor dem Geschäft gewartet.

Von den NSU-Morden im Jahr 2001 will sie ebenfalls erst im Nachhinein erfahren haben. Ihre Freunde hätten sie nicht darüber informiert. Als sie davon gehört habe, sei sie sprachlos und fassungslos gewesen. Am 13. Juni 2001 war der 49-jährige Türke Abdurrahim Özüdogru in seiner Änderungsschneiderei in Nürnberg erschossen worden, am 27. Juni 2001 in Hamburg Süleyman Tasköprü (31) in seinem Lebensmittelladen. Nach diesen beiden Taten sei ihr klar geworden, "dass ich resigniert hatte". "Mir wurde bewusst, dass ich mit zwei Menschen zusammenlebte, denen ein Menschenleben nichts wert war", sagt sie aus. Sie sei von den Taten abgestoßen gewesen, habe sich aber nach wie vor zu Böhnhardt hinzogen gefühlt. Sie habe sich dem Schicksal hingegeben, weiter mit den beiden Männern zu leben. "Nicht sie brauchten mich, ich brauchte sie."

Den Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter hätten Böhnhardt und Mundlos verübt, um deren Pistole stehlen zu können. Mit ihren eigenen seien sie unzufrieden gewesen. Zschäpe erklärte, diese "unfassbare Antwort" habe sie von ihnen auf ihre Frage nach dem Motiv für diesen zehnten und letzten Mord der beiden bekommen. Sie habe auf die beiden Männer auch eingeschlagen. Böhnhardt und Mundlos seien davon ausgegangen, dass sie auch Kiesewetters Kollegen getötet hätten. Dieser überlebte aber schwer verletzt. Das Motiv für den Polizistenmord von Heilbronn galt bislang als unklar.

Sie habe versucht, Mundlos und Böhnhardt vom Morden abzuhalten, erklärte Zschäpe. "Ich erinnere mich, dass ich stundenlang auf sie einredete, mit dem Töten aufzuhören." Sie habe immer wieder mit dem Gedanken gespielt, zur Polizei zu gehen und das Leben im Untergrund zu beenden. Doch wegen der Selbstmorddrohung ihrer Freunde sei die Lage für sie unlösbar gewesen.

Schließlich gesteht sie die Brandstiftung in Zwickau — in der letzten Fluchtwohnung des NSU. Im Radio habe sie im November 2011 davon erfahren, dass ein Wohnmobil mit zwei Leichen entdeckt worden war. Sie sei sich sofort sicher gewesen, dass es sich um ihre beiden Freunde gehandelt habe. Vor der Brandstiftung sei sie durchs Haus gegangen, um sicherzustellen, dass sich niemand mehr darin befinde.

Das Neonazi-Trio und seine Helfer
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Foto: dapd, BKA/Ostthueringer Zeitung

Zschäpe bestreitet aber letztlich die Beteiligung an allen Morden und Anschlägen des NSU und schließlich auch eine Mitgliedschaft im NSU selbst. "Ich weise den Vorwurf der Anklage, ich sei ein Mitglied einer terroristischen Vereinigung namens NSU gewesen, zurück", heißt es es in ihrer Aussage. "Es kann überhaupt keine Rede davon sein, dass ich ein Gründungsmitglied einer Vereinigung namens NSU gewesen sein soll", erklärt Zschäpe über ihren Anwalt. "Eine solche Gründung hat nie stattgefunden." Sie habe sich "deshalb weder damals noch heute als Mitglied in einer solchen Vereinigung gesehen". Der Name NSU sei alleine eine Erfindung von Uwe Mundlos gewesen, allenfalls könne noch Uwe Böhnhardt der Gruppe zugeordnet werden.

In der Aussage der Hauptangeklagten heißt es dann, sie fühle sich "moralisch schuldig", dass sie die Morde und Bombenanschläge nicht habe verhindern können. Und dann: "Ich entschuldige mich aufrichtig bei allen Opfern und allen Angehörigen der Opfer der von Mundlos und Böhnhardt begangenen Straftaten."

Der Opferanwalt Mehmet Daimagüler hält die Aussage Zschäpes für unglaubwürdig. Zschäpe habe in der Erklärung ein "Lügenkonstrukt" vorgelegt. "Ich habe ihr heute kein Wort geglaubt", sagt Daimagüler. "Sie kann diese Art von Entschuldigung behalten."

Der Nebenklage-Anwalt Stephan Lucas sagt: "Heute hat man sehr gut verstehen können, warum es manchmal klug ist, einfach den Mund zu halten." Er ergänze: "Wenn das alles ist, was Frau Zschäpe uns zu sagen hatte, dann hätte sie besser gar nichts gesagt." Auch Gamze Kubasik, Nebenklägerin und Tochter eines Mordopfers äußerte sich und sagt, Zschäpe wolle sich "aus der Verantwortung ziehen".

Bundesanwalt Herbert Diemer sagt: "Wir werden diese Einlassung natürlich genauestens prüfen." Sie sei "ein Beweismittel unter vielen". Eine Bewertung wolle er noch nicht vornehmen. "Alles andere wäre unprofessionell."

Zschäpe muss sich vor dem Oberlandesgericht München als Mittäterin an sämtlichen Verbrechen verantworten, die dem NSU angelastet werden, darunter zehn vorwiegend rassistisch motivierte Morde. Unter den Nebenklagevertretern sind zum ersten Mal seit längerer Zeit auch wieder mehrere Angehörige der NSU-Opfer anwesend.

Auch Zschäpes neuer Anwalt Hermann Borchert nimmt erstmals an einer NSU-Verhandlung teil. Er reichte den anderen Anwälten Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm im Oberlandesgericht München zu Beginn die Hand — ebenso seinem Kanzleipartner Mathias Grasel, der bereits seit dem Sommer Zschäpes vierter Pflichtverteidiger ist. Zschäpe hat beantragt, Borchert als weiteren Pflichtverteidiger zu bekommen. Derzeit ist er als Wahlverteidiger tätig.

(das/dpa/AFP)
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