Fünfter Tag im NSU-Prozess Neue Antragflut stellt Beteiligte auf Geduldsprobe

München · Tag fünf im NSU-Prozess: Alle Prozessbeteiligten werden erneut auf eine Geduldsprobe gestellt. Mit Spannung war für Dienstag vor dem Oberlandesgericht München die angekündigte Aussage des ersten Angeklagten erwartet worden: Der aus der Neonazi-Szene ausgestiegene 33-jährige Carsten S. wollte reden.

NSU-Prozess: Beobachtungen am dritten Tag
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Auch rund ein Dutzend Nebenklagevertreter waren gekommen, um die Aussage zu hören - sie hoffen dringend auf mehr Klarheit über die Verbrechen, die ihre Familien so unvermittelt trafen. Doch der Prozess schleppte sich bis zum Nachmittag erneut mit einer ganzen Reihe von Anträgen und Unterbrechungen hin.

Schon an den ersten Prozesstagen hatten Anträge das Verfahren verzögert. Die Verteidiger der Hauptangeklagten Beate Zschäpe beantragten nun die Einstellung des Verfahrens wegen einer angeblichen Vorverurteilung ihrer Mandantin. Einen vor Pfingsten gestellten ähnlichen Antrag der Anwälte des Mitangeklagten Ralf Wohlleben hatte das Gericht kurz zuvor ebenso wie andere Anträge zurückgewiesen. Nebenklagevertreter verlangten einen Ausschluss von Prozessbeobachtern der Verfassungsschutzämter, des Bundeskriminalamtes und der Landeskriminalämter sowie des Militärischen Abschirmdienstes (MAD).

Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz hätten angekündigt, eigene Prozessbeobachter schicken zu wollen, sagte Nebenklage-Anwalt Alexander Kienzle. "Eine professionelle und systematische Prozessbeobachtung würde eine Gefährdung der Wahrheitsfindung bedeuten." Künftige Zeugen könnten über den Inhalt der Verhandlung informiert und auch beeinflusst werden.

Generell dürfen Zeugen bis zu ihrer Vernehmung nicht an einer Gerichtsverhandlung teilnehmen. Mehrere Verteidiger und Nebenklagevertreter schlossen sich dem Antrag an. Der Vorsitzende Manfred Götzl lehnte jedoch ab: Es gebe keine Anhaltspunkte, dass etwaige Beobachter auf Zeugen konkret Einfluss nehmen könnten.
Verteidigung und Nebenklage kritisierten die Argumentation.

Die Hauptangeklagte Zschäpe muss sich wegen Mittäterschaft bei sämtlichen Taten der Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) verantworten, darunter die Morde an neun türkisch- und griechischstämmigen Kleinunternehmern und einer Polizistin sowie zwei Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle. Die Mitangeklagten Ralf Wohlleben und Carsten S. müssen sich wegen Beihilfe zum Mord verantworten, Holger G. und André E. wird Unterstützung des NSU vorgeworfen. Nur Carsten S. und Holger G. wollen aussagen.

Zschäpes Anwältin Anja Sturm verlangte eine Einstellung des Verfahrens. Im Umfeld der Angeklagten seien viele V-Leute eingesetzt gewesen. Darüber gebe es nur unzureichende Informationen. Vor allem aber sei Zschäpe von Vertretern staatlicher Stellen vorverurteilt worden, etwa mit der Bezeichnung als "Mitglied einer Mörderbande" -"ohne dass in den Äußerungen überhaupt zum Ausdruck kam, dass es sich um einen Tatverdacht handelt", sagte Sturm. "Aufgrund der gezielten, von den Strafverfolgungsbehörden selbst gesteuerten und betriebenen Vorverurteilung" sei ein fairer Prozess nicht mehr durchführbar.

Sturm zitierte Äußerungen von Politikern sowie des Generalbundesanwalts Harald Range. Der habe bereits zu Beginn der Ermittlungen gesagt: "Die NSU hat in bislang nicht gekannter Brutalität und Kaltblütigkeit gemordet und Menschen schwer verletzt." Bundesanwalt Herbert Diemer verwahrte sich gegen den Vorwurf. "Wer die Akten wirklich kennt, sieht, dass der Generalbundesanwalt stets die Unschuldsvermutung beachtet hat."

Zuvor hatte der Strafsenat eine ganze Serie von Anträgen der Verteidigung abgelehnt - unter anderem auch einen Antrag der Verteidigung des Mitangeklagten Ralf Wohlleben auf Einstellung des Verfahrens. Auch darin ging es um eine angeblichen Vorverurteilung, allerdings durch die Medien. Der Senat wies den Antrag zurück. Die Verteidigung habe keine konkreten nachvollziehbaren Aspekte aufgezeigt, die ein faires Verfahren infrage stellen könnten. Dass sich die Politik in das Verfahren einmischen und der Senat sich dadurch beeinflussen lassen werde, sei eine "bloße Vermutung". Der Senat habe bisher unabhängig agiert.

(dpa/jre/csi/felt)
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