Bildungs-Ranking Experten halten PISA-Studie für überbewertet

Düsseldorf · Die OECD hat ihre aktuelle PISA-Studie vorgestellt, Deutschland musste einen Rückschlag hinnehmen. Doch seit Jahren gibt es Kritik an der Studie. Zwei Experten haben mit uns über Sinn und Unsinn der Studie gesprochen.

 Peter Silbernagel ist Vorsitzender des Philologen-Verbandes NRW.

Peter Silbernagel ist Vorsitzender des Philologen-Verbandes NRW.

Foto: Hans-Jürgen Bauer

2001 veröffentlichte die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) zum ersten Mal die PISA-Studie — und Deutschland schnitt vergleichsweise schlecht ab. Vom PISA-Schock war damals die Rede. Seitdem unterziehen sich Schüler aus aller Welt alle drei Jahre dem Test.

Doch Kritiker bemängeln, dass die Studie Äpfel mit Birnen vergleiche und sie daher kein aussagekräftiges Ranking liefere. Ist die Studie im Grunde genommen also irrelevant?

Peter Silbernagel, Vorsitzender des Philologen-Verbandes NRW, räumt PISA eine Daseinsberechtigung ein, warnt aber vor einer Negativ-Gewöhnung. "Vor 15 Jahren hatte PISA eine große Wirkung. Deutschland hatte sich jahrzehntelang an solchen Studien nicht beteiligt.

Die Ergebnisse lieferten daher damals eine neue Sichtweise und halfen, einige Probleme ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken", sagt er. So hätten in den vergangenen Jahren die Bereiche Sprachförderung und vorschulische Bildung aufgrund der Studie an Bedeutung gewonnen — "der Hype um die Studie war aber nicht berechtigt", so Silbernagel.

Denn mit ihrer Kritik hätten einige Bildungsforscher durchaus Recht. So prüft die OECD die Schüler nur in einzelnen Kompetenzen, jedoch sei schulische Bildung viel mehr als beispielsweise nur Mathematik und Lesekompetenz. Außerdem sei das Ranking verzerrt, da man ärmere Länder wie Peru nicht mit reichen Ländern wie Dänemark vergleichen könne — und Deutschland nicht mit asiatischen Ländern. "Niemand hier legt Wert auf Drill, wie ihn zum Beispiel Schüler in China erleben", sagt Silbernagel.

"Bei Schule geht es um viel mehr als um reine Wissensabfrage", sagt auch Stefan Behlau, stellvertretender Vorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung. "Es gibt weltweit so viele Schulformen, die alle ein anderes Kulturverständnis haben." In Deutschland gehe es nicht nur um den Erwerb von Kompetenzen in Mathematik oder Deutsch, sondern auch darum, Schüler zu mündigen Bürger zu erziehen. "Singapur steht zum Beispiel an der Spitze des PISA-Rankings. Man könnte aber durchaus hinterfragen: Wie funktioniert dieses Schulsystem? Entspricht es unseren Gesellschaftsstrukturen?"

Ein weiteres Problem der Studie: Es sei ein Gewöhnungseffekt eingetreten. "In den vergangenen Studien wurden sehr stereotyp immer wieder dieselben Vorwürfe gegen Deutschland erhoben. Die Botschaften wurden gebetsmühlenartig wiederholt", sagt Silbernagel. Zwar habe die Studie in den vergangenen Jahren dazu beigetragen, wichtige Etappenziele zu erreichen, "jedoch hat ihre Ernsthaftigkeit durch Verallgemeinerungen gelitten".

Beispiel: Die skandinavischen Länder führen das Ranking seit zehn Jahren an. "Man kann aber nicht einfach sagen, dass dort alles besser ist", sagt Silbernagel. "Bildungspolitik ist ein schwerer Tanker" — man könne nicht mit Veränderungen über Nacht rechnen. "2001 wurde schon gesagt, dass es 20 Jahre dauern könne, bis sich Deutschland besser aufstellen kann."

Dem stimmt Behlau zu. "Nach nur drei Jahren die Bildungspolitik zu überprüfen, ist schwierig. Es besteht die Gefahr, dass die Schuld für ein schlechtes Abschneiden der Schüler bei den Lehrern gesucht wird", sagt er. Dabei sei es womöglich die Politik, die sich auf den gleichbleibenden Ergebnissen der vergangenen Jahre ausgeruht und die Hände in den Schoß gelegt habe. "So hat sich nichts daran geändert, dass Schüler aus sozial schwachen Schichten schlechter abschneiden. Das System ändert sich nur sehr langsam."

Dabei dürfe man nicht verkennen, dass sich gerade in NRW seit 2001 etwas getan habe in der Bildungspolitik. "Das ist ja der positive Effekt eines Schocks, dass sofort reagiert wird", sagt Silbernagel. "Das hat sich aber inzwischen geändert. Der Blick auf PISA ist gelassener geworden. Das grundsätzliche Konzept war gut, aber PISA wurde überstrapaziert."

Positiv zu bewerten sei, dass die Studie inzwischen auch Begleitinformationen liefere, zum Beispiel über das Schulklima. Das hat es 2001 noch nicht gegeben. Doch man dürfe bei derlei Studien nicht das Gefühl bekommen, dass einem alle drei Jahre das Gleiche aufgetischt würde. Besser sei es, neue Fragen zu stellen und die Studie vielleicht nur alle fünf Jahre durchzuführen, sagt der Vorstandsvorsitzende.

"Was man aus PISA macht, ist Interpretationssache", resümiert Behlau. "Man kann es positiv interpretieren — Deutschland liegt noch immer weit vorne — oder negativ — in Mathe und Naturwissenschaften haben sich die Schüler verschlechtert. Einen einzigen Jahrgang als repräsentativ zu nehmen in einem Land mit uneinheitlichem Schulsystem aufgrund von 16 Bundesländern ist durchaus fragwürdig."

Wer selbst einmal in den Test schauen möchte, findet hier einige interaktive Fragen der OECD.

(jnar)
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