Loreto Aprutino Pizza backen in Erinnerung an Papa

Loreto Aprutino · Die Eltern wollten nur eine Nacht in dem Hotel in Mittelitalien verbringen. Eine Lawine machte es zur Todesfalle. Die Söhne wollen sich ein Jahr danach das Leben nicht von Schmerz und quälenden Fragen diktieren lassen.

Am liebsten hätte Piergiovanni die Tür der Pizzeria schon am Tag, nachdem seine Eltern starben, wieder aufgemacht. "Das ganze Jahr über habe ich an nichts anderes gedacht, als Papas Traum fortzusetzen", sagt der 18-Jährige. Er steht in dem Lokal der Familie in Loreto Aprutino in Mittelitalien, weniger als eine Stunde entfernt von dem Ort, an dem sich für die Familie alles veränderte. Die Eltern hatten sich mit dem kleinsten Sohn Edoardo im Vier-Sterne-Hotel Rigopiano einquartiert, als Schneemassen das Gebäude fortrissen. Der heute Zehnjährige überlebte das Unglück vom 18. Januar 2017. Für Sebastiano und Nadia Di Carlo sowie 27 weitere Menschen wurde das Hotel zur Todesfalle.

An jenem Mittwoch im Januar erschütterten zunächst vier schwere Erdstöße die Region und trafen sie mitten im Schneechaos. Dann ging die Lawine ab und verschüttete das Gebäude in Farindola am Fuß des Bergmassivs Gran Sasso auf 1200 Metern Höhe. Die Informationen darüber sickerten erst nach und nach durch - auch, weil es Stunden dauerte, bis die ersten Retter auf Skiern den eingeschneiten Unglücksort erreichen konnten.

Seit dem 19. Dezember steht Piergiovanni dort, wo sein Vater Teig rollte. Elf Monate nach der Rigopiano-Tragödie haben die Brüder die Pizzeria "Via Veneto" wieder öffnen können, die Sebastiano Di Carlo 2012 aufgemacht hatte. Von morgens bis zwei Uhr mittags sitzt der 18-Jährige in der Schule, danach öffnet er den Laden. Bruder Riccardo unterstützt ihn von Mailand aus, wo er studiert. "Für mich ist die Pizzeria mein Zuhause", sagt der 20-Jährige. "Dort haben wir die meiste Zeit alle zusammen verbracht. Die Pizzeria wieder aufzumachen bedeutet, wieder aufzustehen", sagt Riccardo. "Das Erbe unseres Vaters am Leben zu halten."

Die Eltern waren nur für eine Nacht in das Hotel gefahren, Edoardo nahmen sie mit. Die Familie war oft dort. Immer, wenn sie Ausflüge in die Berge machten, seien sie hingefahren, wenigstens um einen Kaffee zu trinken, sagt Piergiovanni. Das letzte Mal aber blieb er in Loreto. "Ich sagte ihnen, geht, ich bleibe zu Hause, rufe ein paar Freunde an", erinnert sich der 18-Jährige. "Dann haben wir in sozialen Medien, in einigen Posts auf Facebook gesehen, dass es eine Lawine gab, aber wir wussten nicht, ob es Falschmeldungen waren." Die darauf folgenden Tage nennt Piergiovanni "chaotisch".

Eine Woche lang suchten Helfer des Zivilschutzes, der Bergrettung und der Feuerwehr unter extremen Bedingungen zwischen Trümmern und Schneemassen nach Überlebenden. Vorsichtig hatten sie sich an verschiedenen Stellen den Weg bis ins Herz des Hotels gebahnt. Nach mehr als 30 Stunden machten die Einsatzkräfte noch Überlebende aus und zogen nach und nach neun von ihnen aus dem Unglückshotel. "Bist du okay? Super", sagte ein Feuerwehrmann zu Edoardo, als er ihn aus einem Loch hob, bevor ihm andere Helfer Rettungsdecken umlegten. Das Video von dem Moment verbreitete sich in Windeseile im Internet. Die letzten Überlebenden wurden noch 58 Stunden nach dem Niedergang der Lawine gerettet.

Edoardo lebt mit Piergiovanni nun bei einer Tante. "Ihm geht es gut", sagt Piergiovanni. "Er ist ein Draufgänger, lebhaft, er tut eigentlich nichts anderes, als Fußball zu spielen." Immer wieder sagt der 18-Jährige: "Wir sind zufrieden." Es wirkt nicht aufgesetzt. Nach dem, was passiert ist, den Mut zu verlieren, bedeute auch, den kleinen Bruder im Stich zu lassen, sagt er. "Wir haben eine große Verantwortung, wir müssen ihm Kraft geben."

Neben Edoardo überlebten zehn weitere Menschen das Unglück - und ein Jahr danach herrscht noch immer keine Klarheit darüber, wie es überhaupt passieren konnte. Die Staatsanwaltschaft schweigt. Italienische Medien graben aber immer wieder Informationen aus, veröffentlichen haarsträubende Telefon-Mitschnitte, die Aufschluss darüber geben, wie chaotisch die Situation vor Ort gewesen sein muss.

(dpa)
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