Neuss Schlachten auf Muslimisch

Neuss · Für Kritik sorgt ein "Halal"-Schlachthof in Neuss - wegen angeblich fehlender Betäubung der Tiere.

"Halal" soll das Fleisch sein, das bald in einem Neusser Schlachthof produziert wird. "Halal" heißt so viel wie "rein" - im Sinne des Islams, ist also Muslimen zum Verzehr erlaubt. Im Netz allerdings kommt der neue Schlachthof gar nicht gut an: Zehn-, wenn nicht hunderttausende Tierschützer protestieren. Die Kritik ist bekannt: Das "Schächten" der Tiere erfolge ohne vorherige Betäubung. Den Tieren würde also bei vollem Bewusstsein die Kehle durchgeschnitten.

Tierarzt Sebastian Goßmann-Jonigkeit (34) aus Engelskirchen ist eine dieser kritischen Stimmen, durch die Investor Amir Mohsen Baharifar (54) seine Geschäftsidee bedroht sieht. Denn so wie der Tierarzt denken viele. Mehr als 19.000 Menschen haben den Text des Tierarztes, in dem er über den Tod durch Verbluten ohne Betäubung schreibt, bis heute bei Facebook unter ihrem Namen geteilt. Damit hat der Text rund zwei Millionen Menschen erreicht. Was der Tierarzt darin über betäubungsloses Schlachten schreibt, ist zwar korrekt - dass in Neuss "Deutschlands größtes Schächt-Schlachthaus" geplant sei, ist jedoch falsch.

Der Schlachthof-Planer Baharifar - aufgewachsen im Iran, deutscher Staatsbürger, gläubiger Muslim - sieht sich als Gegner des rituellen Schächtens ohne Betäubung. Er hat also ein ganz eigenes Verständnis davon, was "halal" bedeuten muss. "Das passiert in Hinterhöfen, unter Brücken, zwischen Mülltonnen", sagt er mit Grusel. Er will es anders machen, um gerade das Leid für die Tiere zu minimieren, wie es nicht zuletzt auch der Koran fordere. Stattdessen setzt er auf Elektroschocks, weil die Tiere dabei äußerlich nicht verletzt würden, anders als bei der im Westen üblichen Betäubung per Bolzenschuss.

Baharifar ist kein Fleischfachmann, sondern Diplom-Chemiker, aber er ist ein Freigeist, immer auf der Suche nach Geschäftsideen. Vor einigen Jahren fiel ihm auf, dass die in Deutschland lebenden gläubigen Muslime ihr "halal"-Fleisch aus dem Ausland importieren. Er will regionales "halal"-Fleisch anbieten und in Neuss bis zu 30 Arbeitsplätze schaffen.

Tierschützer jedoch werfen ihm vor, er wolle sich nicht an deutsche Gesetze halten. Doch abgesehen davon, dass er das natürlich müsse wie jeder andere, verlange es auch sein Glaube: "Im Koran steht, dass sich Muslime den Gesetzen des Landes anpassen müssen, in dem sie leben."

Bevor der Schlachthof eröffnen kann, haben die Behörden noch Gesprächsbedarf. Tierschutzrechtliche Bedenken gebe es aber nicht, betont Frank Schäfer, Leiter des Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamts im Rhein-Kreis Neuss. Stärke und Dauer der Elektrobetäubung seien bis ins letzte Detail geregelt und würden laufend aufgezeichnet. "Das ist alles mess- und überprüfbar. Es gäbe gar keine Schlupflöcher." Aus Behördensicht unterscheide sich der geplante Schlachthof nicht von anderen. Die diversen Bestandteile der "halal"-Schlachtung wie Ausrichtung der Tiere nach Mekka oder das Aufsagen eines Gebetsspruchs beim tödlichen Schnitt seien tierschutzrechtlich irrelevant.

Sein Ziel sei es, Diskussionen zu versachlichen, beteuert Tierarzt Goßmann-Jonigkeit. Nötig ist das, der Ton in der Debatte um das Schächten roh. Unter einem anderen Artikel über den geplanten Schlachthof in Neuss schreibt eine Facebook-Nutzerin, die Halle böte doch gerade genug Platz für "das ganze Pack". Bewusst habe er seinen Text deshalb mit einer wissenschaftlichen Illustration bebildert, aus dem Standardwerk "Lehrbuch der Anatomie der Haustiere". Ein bisschen nachgeholfen hat er aber doch noch - und am Computer ein blutiges Messer samt schauderhaftem Schriftzug in das Bild montiert. Seine falsche Behauptung über Baharifars Pläne will er nicht korrigieren: "Falls das Vieh vorher betäubt wird, darf man dieses Fleisch nicht ,halal' nennen", doziert er. Bei Wikipedia stehe das auch; alles andere sei nur "halb- oder pseudo-halal".

Unter zeitgenössischen muslimischen Gelehrten sei tatsächlich umstritten, ob Fleisch als ,halal' gelten dürfe, das von unter Betäubung geschlachteten Tieren stamme, sagt Bilal Erkin, Doktorand am Institut für Islamische Theologie an der Universität Osnabrück. 90 Prozent der in Deutschland lebenden Muslime würden Fleisch, wie das von Baharifar als "halal" anerkennen, schätzt Yusuf Çalkara vom Europäischen Halal Zertifizierungsinstitut.

Diese unterschiedlichen Ansichten zeigen, dass "halal" nicht unweigerlich ohne Betäubung geschlachtet heißt. Lob für Baharifar kommt von dem Beratungs- und Schulungsinstitut für Tierschutz bei Transport und Schlachtung: "Gegen Betäubung zu sein, ist einfach", sagt Karen Holleben, "über Betäubung Bescheid zu wissen und zu begreifen, dass sie den religiösen Vorschriften nicht zuwiderläuft, erfordert schon ein gewisses Interesse."

(tjo)
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