Köln/Hamm Szeneaussteiger: "Der Adrenalin-Kick macht süchtig"

Köln/Hamm · Nico Klassen ist 16 Jahre alt, als er sein erstes Rennen fährt. Illegal. Mit seinem Roller. Zwei Jahre später bekommt der Kfz-Lehrling sein erstes Auto. Von da an trifft er sich jedes Wochenende mit seiner Clique, um illegale Rennen zu fahren. "Es war wie eine Sucht", sagt der 36-Jährige rückblickend.

Zwei Jahre lang geht alles gut. Dann passiert ein Unfall, der für Klassen alles ändert: Zwei Freunde liefern sich ein Rennen, der eine im Auto, der andere auf dem Motorrad. Plötzlich touchieren sich die Fahrzeuge. Der Motorradfahrer verliert die Kontrolle über sein Gefährt, bleibt mit dem Kopf an einem Verkehrsschild hängen. Klassen: "Man konnte nichts mehr für ihn tun."

Mehr als 15 Jahre ist das her. "In diesem Moment ist mir erst bewusst geworden, was passieren kann", erzählt er. Bis dahin hatte er die Gefahr ausgeblendet. Klassen vergleicht die illegalen Autorennen mit einer Drogensucht. "Man weiß, dass man sein Leben und das anderer gefährdet. Aber man blendet es aus. Wenn ein Heroinsüchtiger weiß, dass er durch eine dreckige Nadel sterben kann, hält ihn das auch nicht ab." Auf Facebook würden ihn Menschen um Hilfe bitten. "Sie sagen, dass sie süchtig sind nach dem Adrenalinkick, dass sie ihr Auto schon kaputt gefahren haben, sie aber nichts dagegen tun können."

Seit etwa zehn Jahren beobachtet der Aussteiger wieder einen Anstieg illegaler Rennen. "Es ist heute fast so schlimm wie in den 90er Jahren." Damals war er selbst aktiv. Heute hat er noch immer Kontakt zur Szene, organisiert viermal im Jahr legale Rennen in Aldenhoven und im Sauerland - als Ersatzdroge, wie er sagt. "Man muss solche Alternativen schaffen. Mit Sanktionen kommt man nicht weit." Wer seinen Wagen zu Schrott fahre, besorge sich einen neuen. Und im Moment sei es populär, Mietwagen für illegale Rennen zu nutzen.

Der Aussteiger schätzt die Zahl der Fahrer von illegalen Autorennen in Köln und Umgebung auf 5000 bis 6000 - und die sind gut organisiert. "Früher fanden die Rennen in Industriegebieten und auf Autobahnen statt, weil man dort nicht so schnell erwischt wird." Doch nun wollten die Teilnehmer mehr Aufmerksamkeit, weshalb vermehrt Rennen in der Stadt gefahren und so mehr Unfälle verursacht würden.

Auf frischer Tat ertappt werden die Raser selten, denn sie sind gut vernetzt, meint Klassen. "In den 90er Jahren standen wir mit Funkgeräten an den Einfahrtsstraßen zu den Industriegebieten und haben die Fahrer gewarnt, wenn die Polizei in der Gegend war. Heute geht das mit Facebook und WhatsApp." Auch sei es heute schwierig, die Raser an ihren Fahrzeugen zu erkennen. "Früher waren das tiefergelegte, getunte Wagen", sagt der 36-Jährige. Heute haben die meisten Autos so viel PS, dass auch die Familienkutsche für Rennen taugt - was die Arbeit der Polizei noch erschwert.

(RP)
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