Unterhaltung mit Haltung Udo Jürgens glaubt nicht an Gott

Wuppertal (RP). Seit dem 6. Oktober ist er unterwegs. Ein halbes Jahr lang auf Tour - das heißt: 140 Städte, 140 Konzerte und weit mehr als 400 000 begeisterte Besucher. Udo Jürgens - im Showgeschäft ein Phänomen. Der Chansonnier und Popsänger ist seit vier Jahrzehnten ein internationaler Star. Im September 2000 wurde Udo Jürgens 66 Jahre alt. "Mit 66 Jahren" heißt einer seiner großen Hits. "Mit 66 Jahren" lautet auch der Titel der aktuellen Tournee. Am Donnerstag Auftritt in Zwickau, am Samstag in Wuppertal, heute in Rotterdam. Wir trafen Udo Jürgens am Freitagabend im Wuppertaler Golfhotel Juliana zu einem ausführlichen Gespräch.

Ist es für Sie schwierig, eine öffentliche Person zu sein?

"Ja. Denn jeder Mensch, der im Showbusiness tätig ist und ein sinnliches Leben führt mit Essen, Trinken und Liebe, kommt manchmal in Lebenssituationen, die fantastisch sind für die Klatschspalten. Wenn Meier oder Müller ein unheliches Kind haben, ist das uninteressant. Aber ich bin mit meinem unehelichen Kind auf allen Titelbildern der bunten Presse gewesen. Das war nicht angenehm. Zumal mir immer unterstellt wurde, ich wolle das Kind nicht sehen. So'n Quatsch! Das Kind kommt jetzt in die Schule, und ich besuche es bei jeder Gelegenheit. Ich habe erlebt, dass eine Mann-Frau-Beziehung oder eine Familie nicht unter öffentlichem Druck funktionieren. Wenn man ein friedliches Zuhause haben will, muss man sich so verhalten wie Jauch oder Gottschalk, die nichts an die Familie ranlassen."

Ihr Vater war Landwirt. Welche Beziehung haben Sie zur Landwirtschaft?

"Mein Vater war studierter Landwirt. Er stammte aus einer großbürgerlichen Familie in Norddeutschland. Mein Großvater hat meinem Vater zur Hochzeit ein Schloss in Österreich geschenkt. Dort bin ich aufgewachsen. Das war ein Herrenhaus, eine richtige Trutzburg, 800 Jahre alt, mit riesigen Ländereien. Meine Eltern haben von der Landwirtschaft gelebt: Kühe, Schweine, Ackerbau. Ich habe schon als Zehnjähriger Traktor gefahren. Ich musste pflügen und alle möglichen anderen landwirtschaftlichen Arbeiten verrichten. Was mir nicht geschadet hat. Das ist ein wichtiger Abschnitt meines Lebens."

Zwickau, Wuppertal, Rotterdam. Immer im Hotel. Nervt Sie das?

"Ich bin ein Reisender. Wenn ich mein Leben betrachte, muss ich die Frage ,Wo ist es am schönsten auf der Welt?' beantworten mit dem Wort ,unterwegs'. Ich finde es interessant, verschiedene Menschen und Kulturen kennenzulernen. Ich liebe auch den Gegensatz zwischen der Provinz und dem großen internationalen Leben. Wer in Berlin und in München lebt, kennt nicht Deutschland und nicht die deutsche Seele. Dazu muss man in kleinen und großen, armen und reichen Städten gewesen sein."

Sie sind Österreicher, leben in der Schweiz, viele halten Sie für einen Deutschen. Wo ist Ihre Heimat?

"Vom Blut her bin ich Deutscher. Mein Vater ist in Moskau geboren und deutsch-russischer Abstammung. Meine Mutter kommt aus der Gegend um Kiel. Ich bin in Österreich geboren und aufgewachsen, weil meine Eltern dort gelebt haben. Wenn ich heute in Kärnten bin, fühle ich mich sehr zu Hause. Die Sprache ist der Klang meiner Kindheit, auf den Wiesen rieche ich die Gerüche meiner Kindheit. Ich wohne in Zürich, einer wunderbaren Stadt. Ich habe ein Haus in Portugal, wo ich Ferien mache. Aber ich lese deutsche Zeitungen, weil mich Deutschland am meisten interessiert. Ich habe mehrere Nationen in mir."

Haben Sie mal überlegt, sich politisch zu engagieren?

"Nein. Man wollte mich mal überreden, dass ich mich in Österreich für das Amt des Bundespräsidenten aufstellen lasse. Aber das ist nichts für mich. Am besten für so ein Amt wäre ein geklonter Politiker ohne Unterleib. Denn die Bürger wollen immer Saubermänner haben. Die sind noch nicht so weit zu akzeptieren, dass ein Politiker ein ganz normaler Mensch ist. Was zählt, ist der Charakter. Ich finde es gut, wenn auch Politiker ein wildes Leben gelebt haben. Das macht sie für mich glaubhaft. Ein Mensch wandelt sich mit seinen Lebenserfahrungen. Auch Joschka Fischer, der im jugendlichen Drang Steine geschmissen hat. Ihn deshalb heute als Terroristen zu bezeichnen, ist geradezu dumm."

Hören wir da Kritik an der CDU?

"Ich bin kein links-grüner Radikaler. Ich bin sehr bürgerlich eingestellt, aber die bürgerlichen Parteien geben derzeit mit ihren Dummheiten ein kümmerliches Bild ab. Zum Beispiel beim Begriff ,Leitkultur'. Frau Merkel hätte sich profilieren können, indem sie den Erfinder dieses Unsinns (gemeint ist Fraktionschef Friedrich Merz; Anm. der Red.) aus seinem Amt befördert hätte. Ich liebe Deutschland. Aber man kann das Land der Lederhosen, Maßkrüge und der Bratwürste nicht als ein Leitkultur-Land bezeichnen. Solche Begriffe erinnern fatal an unsägliche Zeiten."

"Einen lieben Gott sehe ich nicht"

Udo Lindenberg hat mit anderen Kollegen Konzerte "gegen Rechts" organisiert - was halten Sie davon?

"Es gibt eine gesellschaftliche Verantwortung der Künstler, die zu allen Zeiten eine Front der Humanität gebildet haben. So gesehen, stehe ich auch zu der ,Rock gegen Rechts'-Idee. Ich glaube allerdings nicht, dass so'n Konzert irgendwas positiv verändert. Wenn ich auf eine Bühne gehe, mit großer Lautstärke bekannte Rocknummern runterblase und zwischendurch ins Mikrofon brülle ,Schlagt die Glatzen! Haut die Nazis aus dem Land! Scheiß Nazis!', dann rücken die Nazis nur noch enger zusammen. Und sie bekommen neue Anhänger."

Sie haben eine Stiftung für Waisenkinder gegründet . . .

"Eine kleine, aber effektive Stiftung. Ohne Verwaltungsapparat und ohne große Bettel-Aktionen im Fernsehen. Mit unserem ersten Projekt haben wir ein Kinderheim in der Ukraine, in dem ausgesetzte Babys versorgt werden, gefördert."

Glauben Sie an Gott?

"Nein. Ich glaube nicht, dass es einen Gott gibt, der die Erde beschützt. Nehmen Sie den aktuellen Fall der ermordeten Ulrike: Wenn es einen barmherzigen Gott gibt, dann lässt er ein Kind nicht so sterben. Der Beschützer existiert nicht. Wir müssen selbst auf uns aufpassen und auf unsere Kinder. Es gibt auch keine wirkliche Gerechtigkeit. Nehmen Sie den Entführungsfall Reemtsma. Was der Mann gelitten hat! Der Entführer Drach setzt sich grinsend auf die Anklagebank und ist wahrscheinlich in zehn Jahren wieder aus dem Gefängnis. Das ist doch Wahnsinn! Einen lieben Gott sehe ich da nicht."

Mit der Konsequenz, dass Sie aus der Kirche ausgetreten sind . . .

"Ich bin mit 28 Jahren ausgetreten und habe mich erleichtert gefühlt, weil ich spürte, dass ich nicht mehr Teil einer Organisation bin, die im Lauf ihrer Geschichte unendliche Schuld auf sich geladen hat. (...) Wenn eine Kirche den Anspruch formuliert, die einzig wahre Kirche zu sein, sträuben sich bei mir die Haare. Das bedeutet: andere Religionen sind schlechter. Und das ist der Anfang von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Deswegen kann ich da nicht mitmachen. Ich will wirklich auf Menschen zugehen. (...) Kultur ist für mich auch eine Religion. Und zwar die schönste Religion, die es gibt."

Ein anderes Thema: Wie sehen Sie die Krise des deutschen Schlagers?

"Er ist verkommen. Wenn überhaupt kein Wissen um Musik, kein Sich-Beschäftigen-mit-Musik mehr nötig ist, um eine Schallplattenkarriere zu machen, wenn jeder aus einem ,Big Brother'-Container heraus irgendwelche Hits landen kann, dann hat Schlagermusik keinen Platz mehr. In meinem Leben schon lange nicht mehr. Wenn man einfach nur prominent sein oder mit dem richtigen Promi ein Kind gezeugt haben muss, um einen Plattenvertrag zu bekommen, dann ist das eine Art, mit Musik umzugehen, die es in keinem anderen Land der Welt gibt. Das gibt es nur in Deutschland. Ich weiß auch nicht, was hier los ist."

Verblöden wir?

"Die Gesellschaft ist gespalten. Es gibt viele Leute, die nachdenken, die in Buchläden und in Museen gehen. Und die Hunderttausende Menschen, die in meine Konzerte kommen, sind auch keine Idioten. Im Gegenteil. Es gibt in Deutschland also eine große Gesellschaftsschicht, die sich überhaupt nicht für den ganzen Schrott von Big Brother und Schlager interessiert. Wenn ich in meinen Konzerten nur ,deutscher Schlager' sage, lachen die Leute laut. Der deutsche Schlager ist nur noch ein Witz."

Wie stellen Sie sich Ihren Lebensabend vor?

"Ich hoffe, dass ich ein lustiger Alter bleibe und dass mein Geist fit bleibt. Ich kann mir vorstellen, dass ich mich irgendwo hinsetze, ein Glas Wein trinke, gut esse und ein tolles Buch lese. Es kann doch nichts Schöneres im Leben geben! Aber solche Vorstellungen können durch Schicksalsschläge, Krankheiten und Siechtum ganz schnell zerstört werden."

Von Rolf Langenhuisen

(RPO Archiv)
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