Winnenden Vater von Amokläufer verklagt Ärzte

Heilbronn · Die Bluttat des jugendlichen Amokläufers in Winnenden beschäftigt sieben Jahre danach noch mal die Justiz: Der Vater klagt gegen Ärzte seines Sohnes. Sie hätten vor dem 17-Jährigen warnen müssen, argumentiert er.

War der Amoklauf von Winnenden 2009 vorhersehbar? Mit dieser Frage befasst sich fast genau sieben Jahre nach der Bluttat mit 16 Toten das Landgericht Heilbronn. Der Vater des jugendlichen Täters verklagt Ärzte und Therapeuten seines Sohnes. Sie hätten ihn warnen müssen, dass von seinem Sohn große Gefahr ausgeht, argumentiert der ehemalige Unternehmer. Er will erreichen, dass die Experten die Hälfte des Schadenersatzes übernehmen, den er an Opfer, Hinterbliebene, die Stadt Winnenden und die Unfallkasse Baden-Württemberg zahlen muss.

Bis ein halbes Jahr vor der Bluttat am 11. März 2009 hatten die Ärzte und Therapeuten vier Gespräche mit dem späteren Amoktäter. Im ersten Gespräch hatte der spätere Amokläufer einer Ärztin gegenüber von Tötungsfantasien gesprochen. Er habe Gedanken, "alle erschießen" zu können, steht in den Akten. Eine "soziale Phobie" attestierten Psychologen dem Amokläufer von Winnenden ein halbes Jahr vor der Bluttat. "Nicht ganz zutreffend" sei dieser Befund gewesen, sagt der jugendpsychiatrische Gutachter Helmut Remschmidt gestern vor dem Landgericht Heilbronn. Von einer Fehldiagnose könne man aber nicht sprechen, zu ähnlich seien die Krankheitsbilder.

Tim K. hatte am 11. März 2009 an seiner ehemaligen Schule in Winnenden und auf der Flucht im nahe gelegenen Wendlingen 15 Menschen und sich selbst erschossen. Die Tatwaffe hatte sein Vater, ein Sportschütze, im Kleiderschrank versteckt. Das Landgericht Stuttgart verurteilte ihn später wegen fünfzehnfacher fahrlässiger Tötung zu einer 18-monatigen Bewährungsstrafe. Auch entschied das Gericht, dass der Mann für Behandlungskosten von Opfern und Hinterbliebenen aufkommen muss.

Keine Diagnose, "keine einzige", sei in der Lage, sowas vorauszusagen, macht Experte Remschmidt klar. Der Amoklauf hätte aus seiner Sicht nur durch eines verhindert werden können: Wenn der 17-Jährige daheim keinen Zugang zu Waffen gehabt hätte. Denn ohne die Waffen hätte er die Tötungsgedanken nicht umsetzen können, so Remschmidt. Dass der Jugendliche freien Zugang zu Waffen hatte, sei bei den Gesprächen nicht thematisiert worden. Grobe Behandlungsfehler habe er nicht erkennen können.

Damit nimmt er dem Vater und dessen Klage den Wind aus den Segeln. Für etwas Unverständnis sorgt gleich zu Beginn auch die Tatsache, dass der Vater seine Klage nicht persönlich vertritt. Seine Anwälte legen eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor. Richter Jürgen Rieger zuckt mit den Schultern.

Und die Experten des Zentrums für Psychiatrie in Weinsberg berufen sich dann auch auf ihre ärztliche Schweigepflicht, die auch über den Tod hinaus gelte: Sagt der Kläger nichts, sagen wir auch nichts.

Den Eltern des Amoktäters sei im September 2008 eine umfassende Therapie angeraten worden, argumentierte kürzlich die Verteidigerin der Experten aus Weinsberg. Diese Behandlung sei aber nie angetreten worden.

Der Vater des Amokläufers tritt in Heilbronn erstmals als Kläger auf, bisher war er immer der Angeklagte. Mehrere Schadenersatz- und Schmerzensgeldforderungen, die das Stuttgarter Gericht damals festgelegt hatte, sind bereits beglichen: Zwei Millionen Euro flossen von der Versicherung des Vaters an mehr als 30 Opfer und Hinterbliebene, 400.000 Euro an die Stadt. Forderungen der Unfallkasse für Heilbehandlungen von Schülern, Eltern und Lehrer über knapp eine Million Euro stehen hingegen noch aus.

Wann die Entscheidung des Heilbronner Gerichts fällt, stand zunächst nicht fest - jedoch nicht vor Ende April.

(dpa)
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