Allein gegen Beethoven

Der Pianist Igor Levit beginnt morgen in Düsseldorfs Tonhalle seine Serie mit allen 32 Klaviersonaten von Ludwig van Beethoven. Der deutsch-russische Musiker hat ein Faible für spektakuläre Aktionen. Auf seiner neuen Platte spielt er drei riesige Variations-Zyklen.

Igor Levit - 1987 im russischen Gorki geboren, seit 1995 in Hannover lebend - wird momentan wie ein junger Joseph Brodsky des Klaviers gehandelt. Als Überflieger gilt er, als genialer Hund, dem man keinen Schliff mehr beibringen muss. Wo er spielt, hinterlässt er Verblüffte.

Aberwitzig ist die Simultaneität, mit der er sein Repertoire erweitert. Vor einigen Jahren verblüffte er mal einen Besucher, als er ihm im weltfernen Hitzacker an der Elbe bei den dortigen Musiktagen zur Einleitung ins Interview etwas auf dem Steinway vorspielte, eine riesenhafte Rarität mit Sprengkraft. Sie beginnt mit einer Melodie in d-Moll, deren Pathos auf der Watte der Melancholie gebettet ist. 36 Variationen lang verliert sich diese Tristesse nicht, doch wird in dieser Zeit die Klavierkunst aus den Angeln gehoben. Levit spielte damals tatsächlich Frederic Rzewskis unerhörte Variationen über das chilenische Volkslied "The People United Will Never Be Defeated". Diese Noten, die den Geist der Revolution atmen, dürften in Deutschland vier, fünf Leute kennen. Alles erscheint undurchschaubar darin und an der Schwelle zur Unspielbarkeit.

Jetzt hat Levit dieses spektakuläre und wundervolle Rzewski-Ungetüm auf Platte aufgenommen und es nicht etwa mit einem kleinen Frühwerk von Rzewski garniert, sondern gleich mit Bachs "Goldberg-Variationen" und Beethovens "Diabelli-Variationen". Verrückt, der Typ! Normalerweise müsste man jemanden, der in einer Box drei Lichtwerke des Repertoire auf einmal vertickt, für maßlos oder nicht richtig im Kopf halten.

Aber Levit ist gesund, er liebt einfach solche Gewaltakte. Unlängst hat er ja auch eine Box mit den letzten fünf Beethoven-Sonaten herausgebracht. Solche Publikationen wirken bei ihm wie maßlose, aber höchst intelligent begründete Grenzübertritte, er ist ja ein diabolisches Spielkind, das im Interview plappert wie ein Pennäler, der ein 1,0-Abitur hinlegt, sich aber bei der ersten Zigarette in die Hosen macht.

Levit weiß sehr viel über Musik, jeden Interviewer textet er zu, sogar bei den Barockmeistern Kerll und Muffat kennt er sich aus, doch nie will er dozieren, denn heimlich fürchtet er, von einem Weiseren des Halbwissens überführt zu werden. Sein Lerneifer hat jedenfalls etwas Gefräßiges. Das macht ihn liebenswert. Und dass er der Mannschaft von Hannover 96 mal zu einem Fußballspiel nach Kopenhagen nachgereist ist, macht ihn richtig nett. Ein Sonderling ist Levit nicht.

Dieses Variationen-Triptychon ist Levit übrigens famos gelungen. Er ist pianistisch die positive Ausgabe eines Mannes ohne Eigenschaften, er hat keine Neigung ins Expressive, ins Parfümierte, ins Martialische oder Intellektuelle. Er spielt die Werke, wie sie sind, gleichsam intuitiv richtig, ohne altmeisterliche Marotte. Er überführt sie wie in einen Urzustand, um sie daraus behutsam zu erwecken (Sony 3 CD).

Und sein Beethoven? Von dem kann sich das rheinische Konzertpublikum jetzt überzeugen, denn er beginnt am morgigen Dienstag, 20 Uhr, in der Düsseldorfer Tonhalle einen Zyklus mit allen 32 Sonaten. Noch so ein Welteroberer-Projekt! Wie es werden könnte? Nun, die "Waldstein-Sonate" op. 53 nahm er damals in Hitzacker gar nicht sonderlich sportlich oder gar nassforsch, sie klirrte nicht, sondern hatte etwas von frühem Schumann, von einem ritterlichen Gefecht, dessen Kombattanten sich zwischendurch zum Picknick auf dem Rasen niederließen. Ein paar Tage später spielte Levit in Düsseldorf, diesmal das 5. Klavierkonzert Es-Dur. Es schien, als werde der Komponist von ihm mit Euer Majestät angeredet.

Man darf also gespannt sein, was Levit an den acht Konzertabenden in Düsseldorf aus dem "Neuen Testament" des Klavierspiels macht. Spektakulär wird es auf jeden Fall.

(w.g.)
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