Grillen Alles halb so wild

Fleisch von Reh, Hirsch oder Wildschwein verbinden viele mit Winter - dabei lässt es sich auch im Sommer genießen: als Burger oder Steak vom Grill.

Es steckt tief drin in vielen Menschen, dieses Vorurteil gegen das Fleisch aus dem heimischen Wald, kurz "Wild" genannt. Klar, dieser Begriff suggeriert ja schon in sich eine Bedrohung, klingt irgendwie gefährlich, nicht zu kontrollieren, ungewohnt - wild eben.

Woher das auch immer kommt - es ist Unsinn. Den so oft beschworenen Wildgeschmack gibt es nicht, jedenfalls heutzutage nicht mehr. Die Erinnerung daran stammt aus früheren Epochen, als man das frisch erlegte Stück hängen ließ, bis es ein Aroma ausströmte, das manche mit dem berühmten Begriff "hautgout" beschreiben. Zu Unrecht übrigens - diesen besonderen Duft (besser wäre: Gestank) entwickelt jedes Stück Fleisch, das zu lange zu wenig gekühlt vor sich hin gammelt. Nicht jedermanns Sache. Es gab Zeiten, da ließ man Fasane so lange an den Schwanzfedern hängen, bis sie von selbst herunterfielen. Heutzutage schwer zu vermitteln. Es muss höllisch gestunken haben. Gut, dass es nun Kühlkammern gibt, in denen jedes geschossene Stück kurz nach dem Erlegen ausblutet. Oft ohne Fell, und immer ohne Innereien, denn das Tier wird sofort aufgebrochen, Gedärm, Lunge, Herz, Magen, Leber und Nieren nimmt man heraus, weil der Verwesungsprozess (Jägersprache: das Verhitzen) schnell einsetzt.

Zurück zum Geschmack. Hirsch, Wildschwein, Reh, Hase - sie alle schmecken sehr unterschiedlich. Am intensivsten mundet wohl noch der Feld- oder Waldhase. Sein Fleisch hat einen leicht strengen, eindeutig zuzuordnenden Geschmack, der ihn von anderen unterscheidet. Mit Kaninchen ist er keinesfalls vergleichbar. Er ist nahezu fettfrei, ernährt sich von ausgesuchten Kräutern und sein Körper ist die pure Muskelmasse, von der Evolution perfekt konstruiert für pfeilschnelle Sprints, mit denen er - meist - sein Leben rettet.

Beim Reh spielt das Alter eine Rolle. Faustregel: je jünger, umso milder. Was nicht heißt, dass der vier oder fünf Jahre alte Bock weniger gut am Gaumen ankommt als der jüngere, aber es gibt Nuancen. Ähnlich beim Hirsch und besonders beim Wildschwein. Der ungezähmte Verwandte unserer Ferkel im Stall ist bei Freunden der Wildküche besonders beliebt, weil das vergleichsweise fettarme Fleisch einen kräftigen, aber keineswegs dominierenden Eigengeschmack hat. Ideal für die Küche sind die sogenannten Überläufer: ein bis zwei Jahre alte Tiere, zwischen 40 und 60 kg schwer und auf dem Teller immer ein Genuss. Wer das Pech hat, an einen alten Keiler (so heißen die männlichen Tiere) zu geraten, der zudem auch noch gerade in der Rausch vors Gewehr des Jägers geriet (das ist die Paarungszeit der Sauen), der wird dessen Fleisch mit Sicherheit nicht essen: Es strömt einen derart abstoßenden Geruch aus, dass jede Idee, es zu braten, zu schmoren oder zu grillen, schnell endet. Das Fleisch dieser Tiere eignet sich jedoch hervorragend zur Herstellung von Bratwürsten. Die Füllung wird dann aber meist ergänzt mit dem Hack von Hausschweinen.

Womit wir bei der Frage wären, wie man Reh, Hirsch und Wildschwein am besten zubereitet. Die Antwort ist: so wie anderes Fleisch auch. Es gibt keine speziellen Rezepte, die nur für Wildbret gelten: Wer kochen kann, kann auch Wild! Egal, ob man es schmort, brät, grillt oder wie eine Roulade füllt. Die zarten Stücke vom Filet oder der Lende sind perfekt für ein paar Minuten auf dem Grill. Eine Reh- oder Wildschweinkeule bei 82 Grad (Niedrigtemperatur-Methode) kommt für einige Stunden (egal, ob sechs oder acht) in den Ofen, fällt danach zart vom Knochen und ist vor allem eins - delikat. Die nicht ganz so perfekten Teile durch einen Fleischwolf zu drehen und daraus Frikadellen zu machen, ist ein großartiges Erlebnis. Und das Ragù, das die Italiener vor allem in der Toskana oder in Umbrien aus Wildschwein herstellen, gibt der Sauce einen Kick, den man mit fabrikmäßig hergequältem Fleisch auf keinen Fall erreicht.

Und dies ist das stärkste Argument für das Fleisch aus dem Wald: Wer wirkliches Bio-Fleisch will, lässt die Finger von Billig-Ware aus dem Supermarkt-Regal und ist bei Wild richtig. Die Tiere leben bis zur Sekunde ihres Todes artgerecht, fressen das, was ihnen schmeckt. Vor allem Rehe (der Jäger nennt sie Selektionsäser) sind echte Feinschmecker. Sauen dagegen ähneln dem Menschen: Sie fressen alles - Fleisch, Früchte, Rüben, Kartoffeln, sie verschmähen (anders als die meisten Menschen) auch nicht Käfer, Larven, Würmer und die Kadaver anderer Tiere, lieben Innereien wie Gedärm, Mägen oder Lunge. Und gerät ihnen ein Rehkitz vor die empfindliche Nase, wird es nicht ignoriert, sondern als willkommener Leckerbissen gesehen . . .

Woher kommen also diese Vorurteile gegen Wildbret? Eine mögliche Antwort: Viele von uns sind an den Nicht-Geschmack von Tieren aus der Massentierhaltung gewohnt oder von deren wässrigem, geschmacksneutralem Fleisch abgestumpft. Wenn dann etwas aus der Pfanne kommt, das wirklich noch einen wahrnehmbaren Eigengeschmack hat, irritiert das offenbar.

(RP)
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