Ausstellung in Köln Als Eichmann der Prozess gemacht wurde

Köln · Im Kölner NS-Dokumentationszentrum ist jetzt eine Ausstellung über den Prozess vor einem Jerusalemer Bezirksgericht gegen den SS-Mann Adolf Eichmann zu sehen. Erstmals wurden in einem NS-Prozess auch Zeitzeugen befragt.

Eichmann-Ausstellung im Oberlandesgericht
10 Bilder

Eichmann-Ausstellung im Oberlandesgericht

10 Bilder

Es dauert nicht lange, da wird man Teil dieser Ausstellung. Fast automatisch, unmerklich. Und das geschieht ausgerechnet an der grauen Mulitmedia-Theke mit ihren acht Bildschirmen. Wer sie im Kölner NS-Dokumentationszentrum nutzen will, setzt sich die altertümlich wirkenden Kopfhörer auf und drückt den Startknopf zum Film. Und dann steht man dem SS-Mann Adolf Eichmann gegenüber, der ebenfalls Kopfhörer trägt. Sie ähneln den eigenen.

Schließlich beginnt Eichmann zu sprechen, und man ist sich gar nicht mehr so sicher, was in seiner Verteidigungsrede vor dem Gericht in Jerusalem im April 1961 schlimmer zu ertragen ist: das, womit er sich und sein Tun — als einer der Hauptorganisatoren des Massenmordes an den Juden — zu erklären und begründen sucht; oder wie er all das sagt: in diesen perfekten Sätzen, ohne Punkt und Komma und ohne jedes Verhaspeln; in diesem Bürokratendeutsch voller Substantive, mit dieser Kälte eines Technokraten. Mit "Spediteur des Todes" ist dieser Filmausschnitt betitelt. Man kann viel über die Shoah gelesen haben; doch in der Stimme Eichmanns wird der ganze Wahnsinn des Prinzips von Befehl, Gehorsam und Mord fast greifbar.

Auf vier Bildschirmen werden Eichmanns Auftritt und Eichmanns Reden dokumentiert; auf vier weiteren Monitoren ihm gegenüber sind die Staatsanwälte zu sehen und zu hören sowie einige der über 100 Zeugen. Wir wechseln also die Seiten. Setzen neue Kopfhörer auf. Und stehen jetzt vor Yehiel Dinur. Er sitzt im Zeugenstand; das heißt: Er soll dort eigentlich sitzen. Stattdessen steht der jiddische Schriftsteller und Überlebende des Konzentrationslagers von Auschwitz vor Erregung immer wieder auf, geht ein paar Schritte, setzt sich, springt wieder auf. Im Hintergrund ist die Stimme seines Übersetzers zu hören, dazwischen dann ein Zwischenruf vom Richtertisch, und auch der wird übersetzt. In diesem Stimmengewirr steht Dinur auf und fällt plötzlich wie vom Schlag getroffen, bleibt regungslos liegen. Das alles ist schlichtweg zu viel für den Mann gewesen. All das reden über das Unbegreifliche und die Wiederkehr der Hölle in den Worten der Opfer scheint mit Dinurs Sturz und der Stimme Eichmanns in den Räumen des Jerusalemer Bezirksgericht auf schmerzhafte Weise noch einmal Realität zu werden.

Die Ausstellung "Der Prozess" im Kölner NS-Dokumentationszentrum — dem einstigen Gefängnis der Gestapo — ist nicht neu. Vor zwei Jahren war sie erstmals in Berlin zu sehen, ehe sie durch Europa auf Reisen ging. Sie ist in ihrer Inszenierung auch wenig spektakulär; neben den acht Bildschirmen werden hauptsächlich die üblichen Bild- und Texttafeln geboten. Doch das, wovon erzählt wird, ist — wenn man so will — das eigentlich Spektakuläre, das auf jeden Fall Einzigartige und Epochale.

Der Jerusalemer Prozess gegen den SS-Mann Adolf Eichmann war für das Selbstverständnis Israels ebenso prägend wie für die nachfolgende Aufarbeitung der Shoah. Weil in ihm der sogenannte Zeitzeuge geboren wurde.

Denn im Gegensatz zu den Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozessen stützten sich die Ankläger und Richter diesmal auf die Aussagen der Überlebenden. Erstmals kamen für die Weltöffentlichkeit hörbar jene zu Wort, die die Shoah erlitten und überlebt hatten. Das Leid hat mit ihnen ein Gesicht bekommen und wurde für die spätere Aufarbeitung des Massenmordes wegweisend. Die Stimmen der Zeitzeugen — wie sie auch Claude Lanzmann später sammeln sollte — bekamen im Prozess zum ersten Mal das angemessene Gewicht.

Und 500 Journalisten aus aller Welt waren dabei und vervielfältigten die Berichte der Opfer. Unter ihnen saß auch die Philosophin Hannah Arendt, die Eichmann später als "Schreibtischtäter" bezeichnen und von der "Banalität des Bösen" schreiben wird. Versuche eines Begreifens in Worten, über die viel diskutiert und auch gestritten wurde.

Zu verstehen ist das alles immer noch schwer. Und auch der detailliert dargestellte Lebensweg Eichmanns erklärt tatsächlich wenig oder nur das Übliche. Geboren in Solingen und aufgewachsen im österreichischen Linz, kommt über Jugendorganisationen zur NSDAP, wird Partei-Mitglied, Mitläufer, schließlich flammender Anhänger. Er ist ein williger Befehlsempfänger, plant, was von ihm verlangt wird — bis hin zur Organisation eines millionenfachen Mordens.

Eichmann wird nach dem Krieg verhaftet; aber es gelingt ihm die Flucht. Er kann unter anderem Namen sogar fünf Jahre lang unbehelligt in der Lüneburger Heide leben, bis ihm — wohl auch mit Hilfe des Vatikans — die Ausreise nach Argentinien gelingt. Ricardo Klement heißt er jetzt. Doch Ende der 50er Jahre kommt ihm der israelische Geheimdienst Mossad auf die Spur und entführt ihn 1960. Heute nur noch schwer zu glauben: Es folgen vehemente Interventionen von Argentinien, den Entführten freizulassen. Unter anderem wird damit argumentiert, dass er bloß die Befehle eines damals regulären Staates ausgeführt habe. 1962 wird der "Schreibtischtäter" durch den Strang hingerichtet.

"Ich fühle mich bar jeder Schuld." Diese Worte Eichmanns hat man beim Verlassen der Ausstellung noch im Ohr und den Sturz von Dinur immer noch vor Augen. Es gibt nicht mehr viele Zeitzeugen der Shoah. Auch darum ist die Ausstellung in Köln unersetzlich und ein Besuch des Dokumentationszentrums viel mehr als nur empfehlenswert.

(RP/felt/jco)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort