Alle Wissen-Artikel vom 07. März 2015
Die Leiche des Vaters lag drei Tage auf dem Bürgersteig

Die Leiche des Vaters lag drei Tage auf dem Bürgersteig

Meine Mutter hat meinen Vater zum letzten Mal im September 1944 gesehen. Damals sagte meine Tante noch, er solle desertieren und in die Schweiz gehen. Er lehnte ab. "Wenn alle so denken, was wird aus den Frauen und Kindern?", fragte er. Ich war damals noch kein Jahr alt. Als der Krieg zu Ende ging, hörte meine Mutter von meinem Vater nichts. Er galt als vermisst. Jeden Soldaten, den sie auf der Straße traf, hat sie nach ihm gefragt. Aber sie hat nie eine Antwort bekommen. Erst 1947 teilte ihr das Deutsche Rote Kreuz mit, dass er wenige Tage vor dem Kriegsende in Düsseldorf gefallen sei. Meine Mutter erlitt einen Schock und verlor ihre Sprache, erst nach drei Wochen konnte sie sich wieder äußern.

Wir Kinder spielten mit Munition - mit schlimmen Folgen

Wir Kinder spielten mit Munition - mit schlimmen Folgen

Wir gelangten als Flüchtlinge zu Fuß in den Ort Esserden bei Rees, es muss der 25. März 1945 gewesen sein. Ich war sechs Jahre alt. In der Scheune des Flüchtlingsquartiers sollte ich keine einzige Nacht verbringen. Außer uns befanden sich kanadische und britische Soldaten auf dem Hof. In ihrem Umfeld gab es viel Munition. Die Eltern hatten uns auf die Gefahren in diesem Umfeld hingewiesen und zur Vorsicht gemahnt. Aber uns zog es aus der Enge des Quartiers nach draußen. Ein Junge hatte ein kleines Geschoss gefunden, hob es auf, betrachtete es und warf es dann achtlos auf mich zu. Der Granatkörper explodierte mit lautem Zischen. Ich spürte heftige Schmerzen in den Beinen. Ein britischer Sanitäter wusste, wie die Phosphorbrandwunde zu behandeln war. Er versuchte, mich abzulenken, während er die in der Haut festgebrannten Strümpfe entfernte. Die Soldaten brachten mich über die eben erst fertiggestellte Militärbrücke Rees-Niedermörmter ins 30 Kilometer entfernte Bedburg-Hau. Das Krankenhaus war mit 25 000 Menschen hoffnungslos überfüllt, ein Saal war voller verletzter, verbrannter Jungen.

Granate tötete hochschwangere Tante

Granate tötete hochschwangere Tante

Meine Mutter und ich saßen am 28. Februar 1945 in einem Luftschutzkeller in Mönchengladbach. Die Amerikaner hatten Rheindahlen eingenommen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie auch zu uns nach Speick gelangen würden. Ein Nachbar rief nach meiner Mutter. Ihre Schwester sei durch ein Artilleriegeschoss am Hals verletzt worden. Wir brachen sofort auf, obwohl ich mit meinen 14 Jahren furchtbare Angst hatte. Neben dem Haus meiner Tante war eine Toreinfahrt. Auf dem Boden lagen drei tote Frauen, die Hauseigentümerin, ihre Tochter und meine Tante (35), die mit ihrem ersten Kind im siebten Monat schwanger war. Vor der Tür stand ein vollbepackter Fluchtwagen, sie hatten ihn nicht mehr erreicht. Eine Granate hatte sie tödlich verletzt. Wir wollten meine Tante beerdigen. Meine Mutter bot der Meisterfrau ein Paar neue schwarze Schuhe an, wenn sie uns einen richtigen Sarg verkaufen würde. Als der Sarg in die Erde gelassen wurde, war das Grab zu klein. Die Totengräber sprangen so lange auf dem Sarg herum, bis er nach unten rutschte. Meine Mutter und ich waren die einzigen Trauergäste am Grab meiner Tante.

Das Schicksal des Fallschirmspringers

Das Schicksal des Fallschirmspringers

Ein stark qualmender Bomber überflog am 24. Februar 1945 in etwa 600 Metern Höhe das Haus meiner Frau, damals 13 Jahre alt, und ihrer Mutter. Sie bemerkten, wie etwas aus dem stark beschädigten Flugzeug herausfiel. Der unbekannte Gegenstand entpuppte sich als ein Mitglied der Besatzung. Der Mann hatte versucht, aus dem havarierten Bomber zu entkommen. Doch sein Fallschirm öffnete sich nicht. An der linken Kopfseite hatte er eine Wunde, die schließlich zu seinem Tode führte.

Erinnerungen an das Kriegsende

Erinnerungen an das Kriegsende

Vor 70 Jahren ging der Zweite Weltkrieg in seine letzte Phase — und überrollte auch das Rheinland. Unsere Leser erinnern sich.

Weiße Fahne steckte am Besenstiel im Hosenbund

Weiße Fahne steckte am Besenstiel im Hosenbund

Im März 1945 marschierten die Amerikaner in Willich ein, wo ich mit meiner Mutter bei meinen Großeltern lebte. Die Soldaten schmissen uns aus dem Haus, jeder durfte nur eine Decke mitnehmen. Wir fanden Unterschlupf bei den Nachbarn. Nach einigen Tagen wollte mein Großvater draußen nach dem Rechten sehen. Er konnte wegen seines Asthmas nur langsam gehen und hatte das weiße Tuch vergessen, das anzeigte, dass man sich ergeben hatte. Die Amerikaner schossen auf ihn, er schaffte es noch zurück in den Keller unter der Scheune. Meine Mutter zog sofort ihre Jacke aus und stopfte sie in das große Loch in seinem Oberkörper. Ich, damals etwa sechs Jahre alt, musste mich umdrehen und hörte nur noch einen Rums. Mein Opa war umgefallen und tot. Wir banden an einen Besenstiel ein weißes Tuch und steckten es in den Hosenbund. Meine Oma, meine Mutter und ich trugen die Leiche dann in den Garten. Ich musste an den Füßen anpacken, wir mussten oft absetzen. An drei aufeinanderfolgenden Tagen gruben meine Mutter und ich für ihn das Grab auf dem Friedhof - immer das weiße Tuch im Hosenbund. Als das Loch tief genug war, wickelten wir ihn in ein Tuch, schafften ihn auf einen Leiterwagen und zogen ihn zum Grab. Als meine Mutter und meine Oma die Leiche hineinwarfen, musste ich mich wieder umdrehen. Den Rums des Aufpralls auf der Erde höre ich bis heute.