Tokio Auf der Suche nach neuen Elementen

Tokio · Das Periodensystem der Chemie ist um vier Elemente größer geworden. Jedes von ihnen hat eine faszinierende Geschichte.

Manche Tätigkeiten in der Wissenschaft erscheinen auf den ersten Blick sinnlos, auch wenn sie erfolgreich sind. Die Herstellung von neuen chemischen Elementen gehört dazu. Die Chemiker haben das Periodensystem weiter aufgefüllt und die unterste, die siebte Reihe komplettiert. Vier neue chemische Elemente sind seit Jahresbeginn anerkannt. Der Mensch kennt damit 118 Elemente. 92 von ihnen sind stabil genug, dass sie in der Natur vorkommen. Die übrigen müssen im Labor produziert werden und besitzen teils nur eine geringe Lebensdauer. Die vier Neulinge tragen bisher lateinische Namen, die ihrer Nummer im Periodensystem entsprechen: 113 heißt Ununtrium, 115 Ununpentium, 117 Ununseptium und 118 Ununoctium. Das Vorschlagsrecht für die endgültige Bezeichnung liegt bei den Entdeckern.

Eine praktische Anwendung für die vier neuen Elemente wird es nicht geben. Die Atomkerne sind extrem instabil und zerfallen mit radioaktiver Strahlung. Nur eine Hand voll Forschungsinstitute auf der Welt verfügt über die Apparaturen, die für ihre Herstellung nötig sind. Nummer 115 besitzt die höchste Lebensdauer - dennoch ist die Hälfte der Atome nach einem Drittel einer Sekunde bereits wieder zerfallen. Bei 118 beträgt diese Zeitspanne, die Halbwertzeit genannt wird, sogar weniger als eine tausendstel Sekunde. Die Chemiker können die Elemente deshalb auch nicht isolieren, der Nachweis erfolgt aus der Beobachtung ihres Zerfalls.

Trotzdem hat jedes der neuen Elemente seine eigene Geschichte. Sie erzählt von der Beharrlichkeit der Forscher, von der Qualität ihrer Vorhersagen und vom experimentellen Geschick. 113 entstand im Labor der Elite-Universität Riken in der Nähe von Tokio. Es wird vermutlich "Japonium" heißen und ist damit das einzige Element mit einem Namen asiatischen Ursprungs. Neun Jahre haben die Wissenschaftler immer wieder eine Bismutfolie mit Zinkatomen beschossen, die sie auf ein Zehntel der Lichtgeschwindigkeit beschleunigt haben. Die 83 Protonen im Atomkern des Bismut und die 30 Protonen des Zinks sollten einen neuen Kern mit 113 Protonen bilden. Protonen und Neutronen sind die wichtigsten Bausteine der Atome, die Zahl der Protonen bestimmt ihre chemische Eigenschaft.

Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Kombination zweier Kerne gelingt, ist trotz der drastischen Bedingungen sehr klein. An 553 Tagen liefen die Maschinen. Die Japaner hatten Glück: Schon nach zehn Monaten, im Juli 2004, entstand das erste Atom von Element 113, das zweite Exemplar wurde neun Monate später erzeugt. Das Team von Riken gewann damit einen Wettlauf gegen eine russische Gruppe, die einen anderen Weg zur Herstellung von 113 gewählt hatten. Bei den Japanern reichte das Muster des radioaktiven Zerfalls des Elements für die Identifikation, die Messungen der Russen waren nicht eindeutig.

Die übrigen drei neuen Elemente sind dagegen das Ergebnis einer wissenschaftlichen Zusammenarbeit über politische Konflikte hinweg. 1989 - noch bevor die Berliner Mauer fiel - vereinbarten die Leiter zweier Großforschungseinrichtungen eine Kooperation: Georgi Flerov, Leiter des Vereinigten Instituts für Kernforschung in der Nähe von Moskau, und Ken Hulet vom Lawrence Livermore National Laboratory in der Nähe von Kalifornien. Für die Erzeugung von Element 117 musste 2009 noch ein dritter Forschungsriese an Bord: das Oak Ridge National Laboratory, das dem US-Energieministerium gehört. Die Spezialisten in Tennessee stellten in acht Monaten 22 Milligramm Berkelium her - nicht größer als die Oberfläche eines Fingernagels. Berkelium zählt mit 97 Protonen ebenfalls zu den instabilen Elementen. Drei Monate musste das Berkelium gereinigt werden, bevor es in der russischen Anlage eingesetzt werden konnten. Fünf Monate lang beschossen die russischen Chemiker das winzige Berkelium-Stück mit Calcium-Atomen (20 Protonen). Sie hatten Erfolg und konnten sechs Atome des neuen Elements 117 identifizieren.

Doch warum betreiben die Forscher diesen Aufwand? Ihre Maschinen arbeiten bereits an den nächsten Elementen. Die nächsten Ziele sind die Nummer 119 und 120. Denn obwohl die siebte Reihe des Periodensystems gefüllt wurde, ist das Ordnungswerkzeug der Chemie noch nicht komplett. Mindestens bis zum Element 140 lässt sich das Periodensystem erweitern. Danach werden die Atome vermutlich zu groß. Nun ist es aber nicht so, dass die Elemente immer instabiler werden. Die Wissenschaftler erwarten eine Insel der Stabilität. Sie rechnen damit, dass es bestimmte Kombinationen von Protonen und Neutronen gibt, bei denen die Atome stabilere Strukturen bilden. Lawrencium ist so ein Beispiel: Das Element 103 wird zwar künstlich hergestellt, aber es hat eine Halbwertzeit von 24 Sekunden.

Genug, um seine Chemie zu untersuchen.

(RP)
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