Rheinliebe Ausgerechnet Bierkrüge für Rheintouristen

Sankt Goar · In Sankt Goar gegenüber der Loreley blüht das Geschäft mit den Souvenirs. Touristen aus Fernost und den USA spielen dabei die Hauptrolle. Sie kaufen Kuckucksuhren, Sandalen und "Beersteins".

Kuckucksuhren aus dem Schwarzwald, Bierseidel, geformt wie Schloss Neuschwanstein, Rhein-Wein in gläsernen Nymphen-Karaffen: Wenn es um Souvenirs geht, spielt Sankt Goar in der Bundesliga vorne mit. Im Schatten der Loreley wimmelt es von ausländischen Touristen, die eine Erinnerung nach Hause tragen wollen. Da sind sie bei der Auswahl nicht pingelig, was die Geografie angeht. Und mal Hand aufs Herz: Könnten Sie regionale Unterschiede zwischen den Provinzen Chinas ausmachen? Wären Sie in der Lage, kulturelle Feinheiten im Mittleren Westen der USA zu erkennen?

Ein x-beliebiger Sonntag in der Kleinstadt am linken Ufer des Mittelrheins. Fünf Reisebusse aus Spanien stehen auf dem Platz am Ortseingang. Ein Paar mit Kindern schiebt sich auf dick bepackten Tandems durchs Gedränge auf der Promenade. Am Gepäckträger weht das kanadische Ahornblatt. Die "Loreley" tutet die letzten trödelnden Touristen herbei, bevor sie zur Rundfahrt ablegt. Und eine asiatische Reisegruppe posiert - einer nach dem anderen - vor dem Tulpenrondell. Im Hintergrund erhebt sich Burg Rheinfels. Bilderbuch- Deutschland, wie es später auf zahlreichen Fotos als Erinnerung konserviert bleibt.

Nicht nur auf Fotos, sondern auch im Regal und an der Wand. "Dinge, die auf Reisen gekauft werden, sind - neben dem Fotografieren - das wichtigste Mittel, das Dort-gewesen-sein festzuhalten, den flüchtigen Eindrücken einer Reise Dauerhaftigkeit zu verleihen", schreibt Völkerkundlerin Ingrid Thurner. Sie hat sich dem Thema Reisemitbringsel wissenschaftlich genähert. Ihr Schluss: Souvenirs sind der Versuch, "Erlebtes materiell festzuhalten".

Besonders leicht fällt das bei einem Bierkrug, der qua Natur mit einem Henkel ausgestattet ist. Mehr als 3000 verschiedene Exemplare davon stapeln sich im "Beerstein-Center Montag" in der Fußgängerzone von Sankt Goar. Die Auswahl reicht von einfachen grauen Krügen aus Steingut bis hin zum Deko-Überfluss à la Schloss Neuschwanstein. Beerstein - begeisterte Amerikaner und Briten haben diese Wortneuschöpfung eigens für das deutsche Biergefäß geprägt. Angelehnt an die Urversion aus Steinzeug, aber es gibt natürlich auch Versionen aus Glas, Silber und anderen Materialien.

"Die Krüge kommen alle aus dem Westerwald, nur eine halbe Stunde von hier", erläutert Markus Montag die lokale Herkunft. Aber der Westerwald produziert eben für den Weltmarkt. Deshalb sind Motive wie holländische Windmühlen, der Petersdom oder das Matterhorn genauso vertreten wie Krüge in Form eines deutschen Schäferhunds in Polizeiuniform oder eines amerikanischen Adlers. Und für Leute mit Riesendurst und dickem Portemonnaie steht der angeblich größte Bierkrug der Welt im Schaufenster. Aus schwarz lasiertem Steingut mit Gold- und Silberdekor fasst das Ungetüm 35 Liter und kostet 2350 Euro. Allenfalls ein Sammlerstück. Oder eine Trophäe.

"Durch das Reisesouvenir wird die Welt auf die Dimension des eigenen Wohnzimmers gebracht", erklärt Völkerkundlerin Thurner. Was angesichts des riesigen Bierkrugs unfreiwillig komisch wirkt. Es gehe um die "Aneignung des Fremden", das man wie eine Beute nach Hause bringt. Oder, wie Philosoph Walter Benjamin über Sammler schreibt, die Dinge anhäufen, die sie nicht wirklich brauchen: "Er macht die Verklärung der Dinge zu seiner Sache." Dabei gehe es um Liebhaber-, nicht um Gebrauchswert.

"Proooo-st." Mit Leidenschaft erproben Shirley und ihre beiden amerikanischen Freundinnen die neu erworbenen deutschen Sprachkenntnisse. In der Hand halten sie eine Art Nummernschild im bayerischen Rautenmuster. "Bratwurst" steht darauf, "Festplatz" oder eben "Prost". Soll es eines dieser Schilder sein? Oder lieber die Tasche mit der Aufschrift "I love Germany"? Oder doch einer von diesen wunderbaren Bierseideln? "Amazing", sagt Shirley, macht auf dem Absatz kehrt und geht zurück ins "Beerstein-Center". Die anderen Mädels folgen ihr. Alle haben bereits eine Plastiktüte am Arm baumeln - "Birkenstock".

Ein Geschäft an der Ecke verkauft die Sandalen, denen es längst gelungen ist, das Image des orthopädischen Gesundheitsschuhs abzustreifen und die Hipster in aller Welt zu begeistern. Zwei oder drei Riemen? Shiny black? Oder doch lieber regular white? "Der Rubel rollt. Nicht nur im Bierkrughandel und bei Schuhen. Auch wenn, wie der Verkäufer versichert, die Russen zunehmend seltener unter den Devisenbringern sind. Süd-Europäer, Amerikaner und vor allem Chinesen, Japaner und Koreaner sorgen dafür, dass die Kassen klingeln. Kein Wunder, geben doch nahezu zwei Drittel der Befragten bei einer Studie zur Erforschung des Zeitbudgets im Urlaub an, dass Einkaufen ihre zweitwichtigste Urlaubsaktivität sei. Nach Faulenzen.

Auch im "Cuckoo-Clock-Center" von Marion Montag gehen die Uhren da nicht anders. An der Spitze eines Touristenstroms haben die fünf Verkäuferinnen eine ihnen bekannte Reiseführerin ausgemacht. "Spanier. Das ist doch die nette Kleine . . .", sagt die eine. "Heißt die nicht Maria?", fragt die andere. "Hola!", grüßen beide freundlich in der Landessprache der Gäste. Da ergießt sich der Strom plaudernder Menschen bereits in den Laden. Dann beginnt die Uhren-Vorführung. Zum Aufziehen oder batteriebetrieben? Mit Ochs und Esel oder Püppchen? Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Und die Hersteller leben sie gnadenlos aus. Zu Preisen von um die 200 bis 400 Euro für ein respektables Modell. Der Bezug zum Weltkulturerbe Mittelrhein ist nicht zwingend. Stereotypen verkaufen sich besonders gut, weil sie von jedem erkannt werden können.

Allerdings kommen auch Souvenirs aus der Mode: Vergeblich sucht der Reisende die Wappenanhänger für Bettelarmbändchen, Stockplaketten oder Kofferaufkleber. "Die gibt's nicht mehr", sagt die Verkäuferin. Abgelöst von Kühlschrankmagneten mit Rheinpanorama oder blonder Loreley.

Info Das Buch "Rheinliebe" mit vielen Folgen der Serie erscheint am 9. September im Droste-Verlag. Es kostet 24,99 Euro und kann im RP-Shop unter . 0211 - 505 2255 (Mo-Fr 8-16 Uhr) oder unter www.rp-shop.de vorbestellt werden. Es wird kostenfrei versandt.

(RP)
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