Düsseldorf Bei Anruf Selbstmord: "Werther" in Düsseldorf

Düsseldorf · Christoph Altstaedt dirigiert, Joan Anton Rechi inszeniert Jules Massenets Werk in der Rheinoper. Applaus galt vor allem den Sängern.

Eifersucht ist eine emotionale Kategorie, die auf der Opernbühne vor allem Tenöre befällt. Von einer Dame nicht erhört oder, noch schlimmer, übersehen zu werden: Der Tenor als solcher leidet in solchen Momenten so stark, dass er zu Übersprungshandlungen neigt. Gewalttätigkeit bis zur Mordlust, Selbstgefährdung bis zum Suizid - von Puccini bis Verdi, Janáek bis Massenet, Bizet bis Wagner sind Tenöre betroffen, und unser Mitleid mit ihnen wird umso größer, je heftiger sie nebenbei mit ihren Spitzentönen zu kämpfen haben. Unbeweibt sein und außerdem vom hohen B abstürzen: Das ist vermutlich die äußerste Demütigung am Opernhimmel.

Sergej Khomov, der großartige Tenor der Rheinoper, ist auf solche Rollen abonniert. Vor geraumer Zeit hat er einen Don José in "Carmen" so augenrollend depressiv und verzweiflungssüchtig hingelegt, dass man angesichts der optischen Glaubwürdigkeit am liebsten einen Notarzt ins Opernhaus bestellt hätte. Jetzt hatte Khomov den ewigen Stalker, den unverzagt Hoffenden und pathologisch Enttäuschten der Kulturgeschichte zu betreuen: Werther. Der ist seit Goethes sturmdrängendem Briefroman beides zugleich, Optimist aus Verblendung und Fatalist des Schmerzes. Opernkenner wissen: Es muss sich um Jules Massenets Oper handeln, die wichtigste Versinnlichung des Stoffs für das Musiktheater. Jetzt war Premiere in Düsseldorf.

Regisseur Joan Anton Rechi wird in den Proben entzückt von Khomovs Rollenhingabe gewesen - oder an ihr verzweifelt sein. Wir erleben jedenfalls einen echten Khomov-Abend, der schon mit dem ersten Blick des Sängers ins Publikum von hypertragischer Düsternis kündet. Sie wird dadurch beschwert, dass Rechi die Handlung als Rückblende des sterbenden Helden erzählt, welcher sich pünktlich vor dem ersten Takt der Ouvertüre mit einem Gewehr in den Leib schießt. Während er so langsam ausblutet, halluziniert er die gesamte Oper.

Sie findet statt in jenem leisen Surrealismus, welcher bei solchen Sinnesentrückungen unvermeidlich scheint. Da stehen in Alfons Flores' Bühnenbild Birken im Wohnzimmer, öffnen sich Wände hinter Gazeschleiern, Werthers eigene Hose ist schon früh blutrot. Die Musik zeigt, dass es stilistisch kein weiter Weg mehr ist zum künftigen Leben der Klänge. Beim Hören klickt man Massenet an - und landet bei Claude Debussy und Giacomo Puccini. Leider dirigiert Kapellmeister Christoph Altstaedt etwas grobianisch, weswegen sich die Düsseldorfer Symphoniker bei der Wahl zwischen Delikatesse und Rustikalität nicht immer vorteilhaft entscheiden.

Der Abend bietet ein Musiktheater, das keinem wehtut. Der einsame Buhrufer dürfte bemängelt haben, dass die zum Schleierhaften neigende Harmlosigkeit der Atmosphäre beim bitteren Finale abermals an diesem Abend durch Wählscheibentelefone der 70er Jahre aufgemotzt wird. Über Monate wurden ausschließlich Briefe verschickt - und jetzt erst, wenn es zu spät ist und es Charlotte herzumschlingend reut, wird telefoniert?

Von solchen Widrigkeiten in der Bühnenlogik wird man angesichts exzellenter sängerischer Leistungen nicht übermäßig geplagt. Khomov ist nach anfänglichen Anfechtungen der Intonation schon schnell ein verlässlich heldischer Strahlemann mit Katastrophenblick, auch wenn er bei allen Spitzentönen gegen das Orchester ansingen muss.

Ein herrliches Rollendebüt glückt Katarzyna Kuncio als Charlotte, die mit nach allen Seiten besamtetem Mezzo in der berühmten Briefszene das Kunststück vollbringt, dass wir uns Werther für Minuten ohne seinen Magenbitter-Blick vorstellen. Laimonas Pautienius ist mit reifer Dringlichkeit ein angemessener Albert - jener schneidige Herr, mit dem Charlotte standes-, nicht herzensgemäß verheiratet ist. Das wird Werther einen ganzen Abend nicht begreifen - davon lebt die Oper, davon lebt Sergej Khomov.

(RP)
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