Stadtschloss Berlins neuer Patriotismus

Düsseldorf · 2019 soll das Berliner Stadtschloss als Humboldtforum eröffnet werden. Kosten: mindestens 600 Millionen Euro. Ein Interview mit Wilhelm von Boddien.

Grundsteinlegung für das Berliner Stadtschloss
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Grundsteinlegung für das Berliner Stadtschloss

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BERLIN Er war Initiator für den Wiederaufbau des Berliner Schlosses und ist heute Geschäftsführer des betreffenden Fördervereins: der Hamburger Kaufmann Wilhelm von Boddien (72). Ein Stimmungswandel zugunsten des Schlosses gelang ihm dadurch, dass er im Sommer 1993 eine Schloss-Simulation im Maßstab 1:1 errichten ließ.

Wann wird das Schloss Ihrer Meinung nach denn nun fertig sein?

Boddien Das verblüfft ja die meisten: Der Bauherr, die "Stiftung Berliner Schloss — Humboldtforum", ist voll im Plan und wird das Schloss am 250. Geburtstag Alexander von Humboldts im September 2019 offiziell und fristgerecht eröffnen. Schon ab 2017 soll das gesamte Gebäude bezugsfertig sein. Und weil das Bauwerk eine Art Hightech-Haus wird, gönnen wir uns zur Sicherheit eine zweijährige Bezugs- und Testphase. Das ist wie ein kleiner Flughafen, weil sich im Gebäude später einmal bis zu 5000 Menschen werden aufhalten müssen.

Beim Stichwort Flughafen kommen gerade in Berlin ungute Gedanken auf.

Boddien Wir liegen auch bei den Kosten derzeit absolut im Plan. Trotzdem wird der Bau 2019 natürlich teurer abgerechnet als heute kalkuliert — aus dem einfachen Grunde: Die Inflation wird zu einer Preissteigerung führen.

Wo liegen aktuell die Kosten und womit rechnen Sie dann 2019?

Boddien Die bewilligten Kosten liegen bei 595 Millionen Euro, der zusätzliche Inflationsausgleich wurde gleich mitbewilligt. Wie viel das sein wird, weiß natürlich heute keiner.

Sollte es dennoch zu einem Bauskandal kommen wie beim Berliner Flughafen oder der Hamburger Elbphilharmonie, würde das doch zu einem erheblichen Ansehensverlust des Schlosses führen.

Boddien Ich sehe keinen Bauskandal auf uns zukommen. Der Bauherr und alle Beteiligten arbeiten höchst professionell. Schließlich ist ihr Chef Manfred Rettig, der sich als Beauftragter des Bundes für den Umzug von Bonn nach Berlin große Verdienste erworben hat. Der Umzug war ein Jahr früher fertig — und wurde eine Milliarde Euro billiger als geplant. Das Schloss wird 2019 so abgeliefert, wie es vom Bund 2011 bestellt wurde. Änderungsvorschläge werden nicht akzeptiert, es sei denn, sie werden finanziert durch Einsparungen an anderer Stelle. Alle kritisierten Großbaustellen wie der Flughafen in Berlin zeichnen sich doch durch dauernde Planungsänderungen aus, die die Kosten nach oben trieben.

Aber das Schloss in Berlin ist doch viel mehr als nur ein Architektur-Großprojekt.

Boddien Es ging zunächst um eine Reparatur des Stadtbildes von Berlin. Die Sprengung des Stadtschlosses in der DDR 1950 hat die Stadt völlig aus dem Gleichgewicht gebracht. Wenn man in Köln den Dom beseitigen würde, hätte das die gleiche Wirkung. Aber zunächst fehlte ein Nutzungskonzept; man kann in der Mitte Berlins nicht einfach eine Einkaufs-Mall oder dergleichen hinsetzen an den Ort, an dem 500 Jahre lang zum Teil dramatische deutsche Geschichte geschrieben wurde. Schließlich kam Professor Lehmann, der damalige Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, auf die Idee des Humboldt-Forums, das ja wirklich zukunftsweisend ist: Dort, wo früher das politische Zentrum war, entsteht nun ein Weltort der Künste und Kulturen. Auf der Museumsinsel ist dann die Kunst der ganzen Erde von der Antike bis zum Ende des 19. Jahrhunderts konzentriert. Was für eine Vision auch für die Beseitigung der Ängste vor der Globalisierung!

Was hat das Ihrer Meinung nach mit Humboldt zu tun?

Boddien Nur wer die verschiedenen Kulturen kennt, versteht sie auch. Und nur wer versteht, zeigt dann die nötige Verständigungsbereitschaft. Alexander von Humboldt prägte eigentlich das Motto, unter dem das Humboldtforum stehen könnte: "Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die Weltanschauung derjenigen Leute, welche die Welt nie angeschaut haben". Und schon sind wir mitten im ängstlichen Deutschland.

Ist man mit der überwiegenden Rekonstruktion des alten Stadtschlosses architektonisch zu mutlos gewesen?

Boddien Die Schlossrekonstruktion erscheint aus der Sicht der Moderne wie ein Affront gegenüber moderner Architektur. Das ist ein dogmatisch geführter Streit. Wir sind nicht gegen die Moderne und die Funktionalität der Städte. Aber wir wollen die Stadt Berlin nicht zum Stein gewordenen Ablasszettel für die Untaten der Hitlerdiktatur werden lassen. Gerade weil hier das Ensemble der Residenz Berlin noch existiert, heilt die Wiedereinfügung des Schlosses den Stadtraum und gibt den historischen Gebäuden ihre Bedeutung zurück. Und so entsteht in der zu über 90 Prozent mit Nachkriegsbauten überschwemmten Mitte der Stadt ein spannendes Gegengewicht zur Moderne, das die Stadt wieder austariert.

Dennoch bleibt das wieder aufgebaute Schloss — obwohl es Künste beheimaten wird — ein politisches Gebäude. Wird es Deutschland staatstragender machen und trägt es zu einer deutschen Identität bei?

Boddien Ähnlich wie in Dresden wird es Berlin sicherlich auch eine stärkere Rückbesinnung auf die hohe Qualität der deutschen Kultur vor den Nazis geben. Das neue, hippe Berlin wird mit dem Stadtschloss einen zusätzlichen, nachdenklicheren Charakterzug bekommen.

In Deutschland gibt es wenig belebte Plätze. Ist das unsere Angst vor möglichen Aufmarschorten für politisch unliebsame Menschen? Vor dem Schloss wird es nun eine große Freifläche geben.

Boddien Das sehe ich anders, alle großen Städte haben doch im Zentrum große Plätze mit quirligem Leben. Denken Sie doch nur an München, Frankfurt und Köln, ohne dass diese Plätze für Aufmärsche missbraucht werden. Ich glaube, wir haben viel zu viel Angst vor uns selbst. Wir hatten damals für unsere Schlossattrappe eigens Wachmannschaften postiert, damit dort kein Unfug geschieht. Es gab nicht einen einzigen Sprayer. Offensichtlich wurde der Ort respektiert. Ohnehin sollten wir Deutschen auch ein wenig stolz auf das sein, was wir über viele Generationen an Positivem geleistet haben. Aber nicht in dem Sinne, dass wir uns wieder als Vorbild für andere Länder sehen. Es geht um ein neues Selbstbewusstsein, einen neuen Patriotismus. Patriotismus ist für mich die Liebe zur eigenen Umgebung und Heimat bei gleichzeitigem Respekt vor den Menschen in anderen Ländern, die für ihre Heimat die gleichen Gefühle hegen. Das hat viel mit Toleranz zu tun.

Wird das Schloss auch nach seiner Fertigstellung eine Herausforderung für Deutschland bleiben?

Boddien Das war die Frauenkirche in Dresden anfangs doch viel mehr. Sie hat die Tür zu weiteren Rekonstruktionen kriegszerstörter Bauwerke aufgestoßen. Ich sehe keine Herausforderung mehr, wenn das Gebäude steht. Es wird so friedlich akzeptiert werden wie zuvor schon die Frauenkirche oder das Schloss in Potsdam.

(RP)
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