Acht Monate in einer fremden Welt

Unsere Autorin studiert Journalismus in Gelsenkirchen. Ihr Praktikum absolvierte sie in Indonesien.

Der Fahrer begrüßt mich mit Blick in den Rückspiegel: "Welcome to Jakarta, the congested capitol city of Indonesia." Ich sitze in einem Taxi; Anschnallgurte suche ich genauso vergebens wie die Bürgersteige am Straßenrand. Unzählige Roller quetschen sich durch die engen Lücken zwischen sporadischen Leitplanken und mehr oder minder intakten Autos und Kleinbussen. Es ist laut. Menschen laufen unbeeindruckt vom Verkehr auf der Straße. Sie schauen nach unten, um in keins der Schlaglöcher zu treten. Die Passanten verschwinden, ebenso wie wie die abgemagerten Katzen, in den kleinen Gassen, durch die sich auch mein Taxi zwängt. Für eine Strecke, die man in Deutschland in 20 Minuten bewältigen könnte, brauche ich über zwei Stunden. Alltag während meines achtmonatigen Auslandssemesters.

Im August 2015 verließ ich NRW, um in einem Land zu leben, dessen Vielfalt ich bis dahin nur über das Internet oder Fernsehen kannte. Die teils prekäre politische und wirtschaftliche Lage des weltgrößten Inselstaats war mir bekannt. Trotzdem wollte ich frei von Vorurteilen - seien es positive oder negative - in einer mir neuen, komplett anderen Gesellschaft leben.

Erlebt habe ich eine Gesellschaft, die geprägt ist von den unterschiedlichsten Menschen. Ich traf sie im Fitnessstudio, in der Universität, im Taxi oder während meiner Reisen. Sie alle zeigten mir ihr Land. Kein Schonprogramm, sondern das schärfste Essen in den schrammeligsten Straßenlokalen, Fahrten mit rostigen Minibussen, Märsche durch die dunkelsten Straßenecken - begleitet vom Fiepsen der Ratten und dem Lachen der Kinder.

Während meines Praktikums bei "The Jakarta Post", der größten englischsprachigen Tageszeitung Indonesiens, freundete ich mich mit einem Kollegen an. Er nahm mich mit zu den unterschiedlichsten kulturellen Veranstaltungen in den verstecktesten Regionen. In Bengkulu, der kleinsten Provinz Sumatras, war ich eine der Brautjungfern bei der Hochzeit seines Bruders. Dort, wo niemand ein Wort Englisch sprach, aber mich dennoch jeder verstand. Wo mir die Schwester ungefragt ein paar Kleider lieh, weil sie wusste, dass ich nicht genug dabei hatte. Wo mir die Großmutter ihr Bett anbot und selbst auf dem Boden schlief.

Trotz der Offenheit der Indonesier wurde deutlich, wie wichtig Aufklärungsarbeit ist. In einem Regierungsprojekt trug ich mit Schulkindern Unterschiede und Gemeinsamkeiten der südostasiatischen und der westlichen Welt zusammen. Die unterschiedlichen Religionen und Kulturen sind für sie meist nicht über die Landesgrenze hinaus erfahrbar. Es fehlt Geld für Bücher, sowie ein vielseitiger Unterricht. Dabei saßen stets wissbegierige Mädchen und Jungen vor mir, die nicht genug erfahren konnten und das deutsche Verständnis von Zielstrebigkeit und Disziplin bewunderten. Doch gerade diese vermeintlichen Tugenden scheinen die Menschen der westlichen Welt häufig nach mehr streben zu lassen, ohne zu sehen, wie wundervoll der eigentliche Moment ist. Sie verschwenden viel Kraft damit, darüber zu nörgeln, was ihnen fehlt, anstatt zu bemerken, was sie schon haben. Mit Sicherheit habe ich in dem halben Jahr nicht alles gesehen und verstanden. Doch es bestärkte mich in der Ansicht, dass nicht alles zu verändern und zu verbessern ist -und das ist in Ordnung. Es ist sogar gut. Aber jeder kann versuchen, die eigene Handlungsweise und die der anderen zu verstehen und zu akzeptieren.

(RP)
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