Berlin Benachteiligung im Staatsexamen?

Berlin · Frauen und Prüflinge mit Migrationshintergrund schneiden im juristischen Staatsexamen schlechter ab. Ein Grund dafür könnte die Zusammensetzung der Prüfungskommissionen sein.

Frauen schneiden im zweiten juristischen Staatsexamen um knapp zwei Prozent schlechter ab als Männer. Im Bereich der Prädikatsnoten ist der Geschlechtereffekt zuungunsten der Frauen besonders ausgeprägt: Zwölf Prozent weniger Frauen überspringen die überaus karriererelevante Notenschwelle von neun Punkten. Nur wer mit einer Note von neun Punkten oder besser ein so genanntes Prädikatsexamen vorweisen kann, wird zum Beispiel zum Staatsdienst zugelassen.

Auch ein Migrationshintergrund führt zu schlechteren Noten. So schneiden Rechtsreferendare, die im Ausland geboren sind und keine deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, im zweiten Examen 17 Prozent schlechter ab als deutsche Prüflinge. Die Wahrscheinlichkeit, eine Prädikatsnote zu erreichen, ist für sie sogar um 70 Prozent geringer. Auch in Deutschland geborene Prüflinge mit deutschen Pass, aber "nicht-deutschem" Namen werden im Durchschnitt schlechter beurteilt. Die Unterschiede bleiben auch bestehen, wenn Vornoten in die Analyse einbezogen werden.

Das sind Ergebnisse einer Studie von Andreas Glöckner (FernUniversität Hagen), Emanuel Towfigh (EBS Universität Law School), und Christian Traxler (Hertie School of Governance) im Auftrag des Ministeriums der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen. Sie basiert auf einem umfangreichen Datensatz, der die Ergebnisse von rund 20.000 Prüflingen umfasst, die zwischen 2006 und 2016 ihre ersten und zweiten juristischen Staatsprüfungen in NRW ablegten. Das Justizministerium hat die Studie beauftragt, nachdem die Autoren in einer ersten Studie 2014 Geschlechts- und Herkunftseffekte bei der Benotung juristischer Staatexamen entdeckt hatten. Die Folgestudie untermauert und differenziert die Ergebnisse auf einer breiten Datenbasis.

Einen deutlichen Einfluss auf den festgestellten Geschlechtereffekt bei mündlichen Prüfungen hat der Studie zufolge die Zusammensetzung der dreiköpfigen Prüfungskommissionen: So haben Rechtsreferendarinnen mit den gleichen schriftlichen Vornoten wie ihre männlichen Kollegen bei einer mit drei Männern besetzten Kommission eine um 2,3 Prozentpunkte geringere Chance, die nächsthöhere Notenschwelle zu überspringen. Ist jedoch zumindest eine Frau in der Kommission, verschwindet dieser Unterschied. In gemischt besetzten Gremien haben Männer eine marginal schlechtere Chance, Frauen aber eine marginal bessere Chance auf die nächsthöhere Notenstufe. Dieser Effekt verstärkt sich an der Schwelle zum Prädikatsnotenbereich: Während bei rein männlichen Kommissionen der Geschlechterunterschied sechs Prozentpunkte beträgt, steigt die Wahrscheinlichkeit auf die nächste Notenstufe für Frauen bei gemischten Kommissionen um drei Prozentpunkte, für Männer sinkt sie um den gleichen Wert. Es kommt somit zu einer vollständigen Nivellierung.

Diese Beobachtung spricht für eine - möglicherweise unbewusste - Diskriminierung als Ursache der Unterschiede. 52 Prozent der Examenskandidaten sind Frauen, doch 65 Prozent der Prüfungskommissionen waren im Betrachtungszeitraum rein männlich besetzt. Erst zum Ende des Zeitraums stieg der Anteil gemischt besetzer Kommissionen deutlich an. "Die Teilnahme von Prüferinnen ist wichtig für eine geschlechterneutrale Beurteilung und sollte entsprechend forciert werden," so die Autoren. Ferner sollte geprüft werden, den Kommissionen die Vornoten der Kandidaten nicht zu benennen, damit die Prüfer nicht beeinflusst sind, wenn es um relevante Notenschwellen, insbesondere die Schwelle zum Prädikat, geht.

Die Zahl von Prüfern mit Migrationshintergrund ist bislang so gering, dass statistische Aussagen nicht möglich sind. Eine Analogie zum Geschlechtereffekt ist allerdings möglich, was für den Einsatz von mehr Kommissionsmitgliedern mit Migrationshintergrund spricht. Die Autoren empfehlen weitere Analysen insbesondere in diesem Bereich, um daraus Handlungsempfehlungen abzuleiten.

(RP)
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