Studenten-Leben Das musst du doch wissen!

Gesellschaftswissenschaften lösen im Freundeskreis einen seltsamen Reflex aus. Hat man Germanistik studiert, erwarten Freunde zuweilen, dass man sich zu jeder Art von Literatur äußern, jedes Stilmittel bestimmen und jedes Fremdwort deklinieren kann. Als Geschichtsstudent muss ich mich zu jeder historischen Frage äußern können, die in geselliger Runde aufkommt. Wie hieß noch gleich der amerikanische Verteidigungsminister zu Zeiten des Kalten Krieges? Manchmal kann sich ein Ratespiel, das ursprünglich angeblich zu Unterhaltungszwecken erfunden wurde, zu einem echten Spießrutenlauf entwickeln. Getreu dem Motto: Oh, eine Geschichtsfrage - das musst du doch wissen!

Nö, muss ich nicht. Schließlich erwarte ich von meinem Hals-, Nasen- und Ohrenarzt auch nicht, dass er eine komplizierte Hirn-Operation durchführen oder siamesische Zwillinge trennen kann. Genauso wenig verlange ich von einem Freund, der sich im zweiten Ausbildungsjahr bei der Sparkasse befindet, Insider-Tipps, wie ich das große Geld an der Börse verdiene.

Nur weil jemand in einem bestimmten Fach arbeitet, heißt das ja noch lange nicht, dass er sich in eine eierlegende Wollmilchsau verwandelt hat. Und auch im Geschichtsstudium hat man seine Spezialgebiete. In meinem Fall das Mittelalter oder, um es noch genauer zu machen, die Karolinger und Ottonen. Na gut, das hätte ich meinen Freunden vermutlich auch lieber nicht sagen sollen. Jetzt werde ich regelmäßig nach Namen von Wikingern gefragt, soll Kircheninschriften fließend übersetzen und Päpste der Reihe nach aufzählen. "Das musst du doch wissen!"

(RP)
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