Kolumne Studentenleben Der Schaffner löst das Rätsel

Wir fahren nach Hause - manche von uns im Wochenrhythmus, andere in den Semesterferien. Aber früher oder später treffen wir uns im Regionalexpress gen Heimat. Wenn wir Glück haben, finden wir noch einen gepolsterten Sitzplatz. Aber meistens sind wir zu den Stoßzeiten unterwegs, und für uns bleibt nur der harte Platz auf der Treppe oder der Gepäckablage. Um uns herum schreien Kinder - ein Geräusch, das uns jede Woche aufs Neue vollkommen fremd vorkommt. Unseresgleichen erkennen wir leicht, meinen wir zumindest: Wir hämmern auf den Laptop ein, während unser Blick auf mit Textmarker bearbeitete Kopien gerichtet ist.

Manchmal haben wir auch Stapel von Karteikarten vor uns. Wir blättern sie schweigend durch und machen seltsame Lippenbewegungen dabei. Kopfhörer trennen uns von der Außenwelt, die nur spekulieren kann, ob gerade Klassik oder Deutschrap läuft. In beiden Fällen haben wir dem kopfhörerlosen Mitreisenden gegenüber einen entschiedenen Vorteil: Wir verpassen die besonderen Gesänge, die Wochenende für Wochenende die Gänge der Regionalzüge dieses Landes füllen. Musikalische Höchstgenüsse, gratis zur Verfügung gestellt von alkoholisierten Fußballfans und Junggesellenabschiede feiernden Gruppen.

Wenn sie wenigstens singen könnten. Oder wenn es wenigstens kein Schlager wäre. Aber die Mitreisenden werden nicht geschont. Besonders diejenigen nicht, die im Halbschlaf die vorüberziehende westfälische Landschaft betrachten, leiden unter dem lautstarken Begeisterungsgegröle. Aber Studenten können das nicht sein, oder? Die sind doch allesamt ausgestattet mit Tablet, Laptop, Textmarkern, Musik und Karteikarten. Nur einer kann das Rätsel der Mitreisenden lösen: "Die Fahrkarten bitte!", lautet das Kommando.

Die Halbschläfer erwachen langsam und zücken ihre Tickets. Es sind ausnahmslos Semestertickets. Und auch unter den Fußballfans und Junggesellenabschied-Feiernden entpuppt sich der ein oder andere als Student.

(RP)
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