Düsseldorf Digital bleibt vorerst legal

Düsseldorf · Beinahe wäre der Streit um digitale Lerninhalte zwischen Hochschulen und VG Wort eskaliert. Jetzt wird verhandelt - worüber?

Früher schleppten die Studenten kiloweise Papiersammlungen, sogenannte Reader, zu ihren Seminaren. Heute stehen alle wichtigen Texte auf Lernplattformen der Unis im Netz, man kann sie runterladen und auf dem Tablet lesen. Auszüge aus Büchern, wissenschaftliche Aufsätze, Artikel aus Fachzeitschriften - heute stellen die Dozenten das meiste Lernmaterial online zur Verfügung. Doch darum gibt es Streit - wir erklären, worum es geht und was dies in Zukunft für den Hochschulbetrieb bedeutet.

Wie ist die Ausgangslage?

Die VG Wort, die die Rechte der Urheber vertritt und an Autoren, Übersetzer und Verleger Tantiemen auszahlt, die durch die Zweitverwertung ihrer Werke durch Digitalisierung, Kopien oder Verleih entstehen, erhielt eine pauschale Abdeckung ihrer Ansprüche. Rund 2,1 Millionen Euro pro Jahr überweisen die Bundesländer dafür bisher an die VG Wort - unabhängig davon, wie viele Texte tatsächlich von Dozenten hochgeladen und von Studenten genutzt werden. Doch der Bundesgerichtshof hatte diese Pauschale beanstandet und eine Einzelregelung gefordert. Die sollte zum 1. Januar in Kraft treten.

Was besagt die neue Lösung? Die neue Lösung sieht vor, dass die Hochschullehrenden jeden digitalisierten Text der VG Wort melden müssen. VG Wort und Kultusminister hatten sich auf eine Einzelabrechnung geeinigt, pro Student sollten 0,008 Euro pro Textseite und Semester überwiesen werden. Was das in der Praxis für ihn und seine Kollegen bedeutet hätte, beschreibt Heiner Barz, Professor für Bildungsforschung und Bildungsmanagement an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf: "Für jeden zweiseitigen Artikel aus einer Zeitschrift, für kurze Zitate aus Büchern, für all das, was man bisher im Semester online zur Verfügung gestellt hat, hätte man also die Daten erfassen müssen - und die Zahl der Studierenden. Manchmal startet man aber einen Kurs mit 100 Leuten und Mitte des Semesters sind nur noch 70 davon da - wie berechnet man dann? Und ich habe allein dieses Semester fünf Seminare - das ist einfach ein riesiger Aufwand. Man wäre stundenlang mit Verwaltung beschäftigt."

Warum wehren sich die Unis?

Die Hochschulen boykottieren die neue Lösung - sie sei zu umständlich. "Die Hochschulen haben große Bedenken, dass das vereinbarte Verfahren zu aufwendig ist, um flächendeckend umgesetzt zu werden. Es steht zu befürchten, dass die digitale Lehre an den Hochschulen durch die geänderten Rahmenbedingungen stark beeinträchtigt wird", sagt der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz Horst Hippler. "Wir brauchen generell ein Urheberrecht, das der modernen Lehre an den Hochschulen vernünftige Bedingungen erlaubt." Auch Svenja Schulze, Wissenschaftsministerin in NRW, kritisiert das System: Der administrative Aufwand aus Sicht der Hochschulen sei unverhältnismäßig hoch und nicht praxistauglich. "Wir leben in einem Flatrate-Zeitalter, nirgendwo wird mehr einzeln abgerechnet", sagt auch Barz. "Und ausgerechnet in einer Zeit, wo die Hochschulen endlich ein großes digitales Angebot für die Studenten bereitgestellt haben, wo man auch auf Papierausdrucke zur Schonung der Umwelt verzichten will, da sollen die jungen Menschen an den Hochschulen zurück an die Kopierer."

Was droht den Studenten?

Was bisher digital auf Laptop oder Tablet geladen und dort gelesen, bearbeitet oder auch ausgedruckt werden konnte, hätte wieder Seite für Seite aus den entsprechenden Lehrbüchern kopiert werden müssen. So kündigten etliche Hochschulen, auch die Unis in Düsseldorf und Köln, an, ihre Onlinekurse abzuschalten, weil sie den neuen Vertrag mit der VG Wort nicht unterschreiben wollten.

Wie geht es jetzt weiter?

Digital bleibt legal - zumindest bis zum 30. September. Vertreter von Hochschulen, Wissenschaftsministerien und VG Wort haben sich nach den heftigen Protesten auf eine Übergangslösung bis zum Wintersemester 2017 geeinigt. Bis dahin wird die pauschale Abgeltung fortgeführt. Eine Arbeitsgruppe soll nun ein neues Abrechnungsverfahren entwickeln - wie das aussehen wird, soll Mitte März veröffentlicht werden. "Das Problem wurde im Grunde nur aufgeschoben", sagt Barz. "Ich und meine Kollegen hoffen auf eine weitere pauschale Lösung, die dann auch langfristig trägt - um die herrschende Verunsicherung unter den Hochschullehrenden und Studierenden zu beenden."

(RP)
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