Leitfaden der Uni Münster Ethik im Tierversuch

Münster · Tierversuche werden in Deutschland regelmäßig durchgeführt und sind gesetzlich geregelt. Trotzdem polarisiert das Thema wie kaum ein zweites. Auch weil oft nach dem Schubladenprinzip geurteilt wird. Dabei ist es weit komplexer.

Ethik im Tierversuch in Deutschland
Foto: dpa, frg abl cul

Menschen machen es sich bei der Bewertung kritischer Themen gern leicht. Oft gibt es nur zwei Extreme: richtig oder falsch, Ja oder Nein, Freund oder Feind. Das gilt in der Politik, bei Schiedsrichterentscheidungen im Sport oder beim Konflikt zwischen Fleischessern und Veganern. Dabei könnte es beiden Seiten helfen, zumindest einmal einen Blick hinter die Beweggründe des jeweils anderen zu werfen. Etwa beim hochemotionalen Thema Tierversuche.

Einen Vorstoß versuchte kürzlich die Universität Münster, die durch die Strafanzeige der Stadt Münster wegen angeblich illegaler Tierversuche in Deutschland in die Kritik geraten war. Bewiesen sind die Vorwürfe bislang nicht. Um ihre Sichtweise klarzustellen, veröffentlichte die Uni vor Kurzem ein "Leitbild zum ethischen Umgang mit Tieren in der wissenschaftlichen Forschung und Lehre". Das sollte die Wogen glätten, steht aber laut Uni nicht in Zusammenhang mit den Vorwürfen. Die Punkte: Wissenschaftler sollen an ihre persönliche Verantwortung erinnert werden, die Versuche mit Lebewesen auf ein notwendiges Minimum zu reduzieren. Zudem will es die Universität Außenstehenden leichter machen, sich über die Bedingungen der Tierversuche zu informieren.

Einen ersten Schritt machte sie bereits bei der Vorstellung des Leitfadens. Dabei gewährte die Uni Münster Einblicke in die Labore, in denen an Mäusen experimentiert wird. Die Nager bekommen beispielsweise kleine Plastikröhrchen in den Hals geschoben. Anschließend werden ihnen mit einer Spritze krank machende Bakterien in den Schwanz injiziert. Über etwa zehn Tage, in denen sich die Tiere in einer Art Grippezustand befinden, beobachten die Forscher, wie sich der Zustand des Röhrchens entwickelt. "Wir wollen herausfinden, warum sich bei Menschen Bakterien oft an Implantaten wie künstlichen Hüften oder Knien sammeln", erklärt Institutsdirektor Michael Schäfers. Nach der Versuchsreihe werden die Mäuse getötet. "Um ihnen weiteres Leiden zu ersparen", so Sonja Schelhaas vom Institut für Reproduktions- und Regenerationsbiologie.

Knapp fünf Jahre brauchte eine Kommission für die Entwicklung des Leitbilds. Das lag auch daran, dass sie aus Befürwortern und auch Gegnern der Tierversuche bestand. "Wir wollten Leute aller Meinungen an einen Tisch bekommen", sagt Stefan Schlatt, Leiter des Instituts für Reproduktions- und Regenerationsbiologie. "Dieses Leitbild soll vor allem das Selbstverständnis unserer Universität formulieren." Mit den heutigen Methoden der Tierversuche komme es nicht mehr zu Qualen für die Tiere, so Schlatt. Auch einer seiner Gegner in der Kommission, der Ethiker Johann Ach, ist mit dem Ergebnis zufrieden: "Auch wenn ich glaube, dass viele der Versuche einer ethischen Überprüfung nicht standhalten, sage ich: Wenn man sie schon macht, dann so, wie wir es im Leitbild formuliert haben."

Die Heinrich-Heine-Universität (HHU) in Düsseldorf begrüßt das Vorgehen in Münster: "Klar finden wir das gut", sagt Susanne Dopheide, Sprecherin der HHU. In Düsseldorf gibt es zwar kein Leitbild, aber eine eigene Internetseite, damit sich Interessierte informieren können. Dort stehen ähnlich wie im Leitbild die Bedingungen, unter denen Tierversuche durchgeführt werden. In erster Linie, um Transparenz zu gewährleisten. "Die Öffentlichkeit hat das Recht zu erfahren, wie mit den Tieren umgegangen wird." Pflicht ist das nicht, "aber es macht auf jeden Fall Sinn", sagt Dopheide.

Trotzdem kritisieren Tierschützer bereits auch den neuen Leitfaden. So schön sich der Text auch anhören mag, mehr als eine Ergänzung zu bestehenden Gesetzen ist er nicht. Keiner der Mitarbeiter der Uni ist verpflichtet, sich daran zu halten. Eine Strafe bei Missachtung droht nicht. Im Grunde geht es nur um die Präsentation nach außen: um Marketing. Die Uni Münster ist aber bemüht, sich intensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen. Andere tun das nicht. Dabei ist eine nähere Betrachtung enorm wichtig. Sie zeigt, dass eine Differenzierung bei Tierversuchen stattfinden muss. Und zwar zwischen Experimenten, die einen sinnvollen Fortschritt für die Menschheit bedeuten, und jenen, die letztlich nur dazu dienen sollen, unseren stetigen Wunsch nach mehr Luxus zu erfüllen. Auch unterscheiden Experten beim Schmerzempfinden und Bewusstsein der Tiere: Ist es genauso schlimm, einem Hund eine Spritze in den Kopf zu jagen wie einem Regenwurm? Da gehen die Meinungen weit auseinander.

Klar ist: Experimente an Tieren sind keine schöne Sache - aber wenn dadurch medizinischer Fortschritt gewährleistet werden kann, sind sie ein notwendiges Übel. Die Vergangenheit beweist es: Viele Krankheiten konnten durch Tierversuche schon geheilt werden. Insulin und zahlreiche Antibiotika gegen Infektionskrankheiten wurden so entwickelt. 89 Prozent aller seit 1901 verliehenen Nobelpreisen für Physiologie und Medizin gehen auf Ergebnisse zurück, die ganz oder teilweise durch Tierversuche gewonnen werden konnten. An der Universität Münster wird derzeit unter anderem an Multipler Sklerose geforscht. Eine Krankheit, die Menschen und Angehörigen das Leben schwer macht und den Einsatz von Tierexperimenten rechtfertigt.

Allerdings gibt es auch die Kehrseite, die schwarzen Schafe. Denn fragwürdig sind Experimente an Lebewesen, nur um damit Pflegeprodukte zu verbessern, die der Hersteller für teures Geld verkaufen kann. Hier hat die Forschung nichts mehr mit der Suche nach Heilung zu tun, sondern lediglich mit dem Streben nach Luxus. Die Tierschutzorganisation Peta listet auf ihrer Homepage Firmen auf, die Tierversuche für die Entwicklung von Luxusprodukten durchführen. Viele bekannte Namen sind darunter, etwa Diesel, L'Oreal und Hugo Boss. An Lebewesen Experimente durchzuführen, nur um so den Menschen die Möglichkeit zu geben, zehn Jahre jünger auszusehen, gilt als ethisch bedenklich.

(se)
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