Kalkar-Grieth Grieth soll das Dorf von morgen werden

Kalkar-Grieth · Für ein Projekt zur Entwicklung des Lebens auf dem Lande hat die Hochschule Rhein-Waal ein Projektbüro in einem Dorf am Rhein eingerichtet. Das soll künftig Modellcharakter für andere Dörfer haben.

Still ist es auf dem kleinen Markt, ein Verkaufswagen mit Brot, ein weiterer mit Wurst warten auf Kunden. Geschäfte gibt es schon lange nicht mehr in dem 800-Seelen-Dorf, dessen Häuser sich hinter den Rheindeich ducken und als Geviert einen mittelalterlichen Markt bilden. Allein der Turm von Sankt Peter und Paul, den eine Reihe Häuser vom Markt trennt, schaut über die flache Landschaft hinaus. An den Wochenenden kommen Touristen, bevölkern die breite Promenade parallel zum Rhein, auf der ein beflaggter Schiffsmast mit seinen Spanndrähten im Wind klappert. Doch sonst ist es still in dem Ort, der noch 1540 Mitglied der Hanse wurde.

Das soll sich ändern. In einem der leeren Geschäfte am Markt hat die Hochschule Rhein-Waal (HSRW) ein Büro eröffnet. Denn Grieth soll wissenschaftliches Vorbild werden. Vorbild für "Lösungen zur Zukunftsfähigkeit des Landlebens", wie das Projekt der Hochschule heißt. Das läuft bis 2016 und wird innerhalb des Förderwettbewerbs FH-Struktur vom Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen mit 240 000 Euro gefördert. Vier Fakultäten der Hochschule in Kleve und Kamp-Lintfort sind in das Projekt eingebunden. Federführend sind die Fakultät Kommunikation und Umwelt in Kamp-Lintfort und die Sozialwissenschaftler an beiden Standorten.

"Leben im ländlichen Raum ist zunehmend mit Einschränkungen verbunden: Wo früher die Post, der ,Tante-Emma-Laden' und die Bank waren, gibt es nun oftmals nur noch leere Räume. Viele Dorfkneipen schließen ebenfalls, Busse fahren seltener. Häufig bleibt nur das Vereinsleben, um das Dorf lebendig zu halten", sagt HSRW-Professor Rolf Becker. Er ist Sprecher einer Gruppe von Wissenschaftlern verschiedener Fachrichtungen, die auf der Suche nach dem Dorf von morgen sind. Später sollen die in Grieth erprobten Muster auf andere Orte übertragbar sein. Denn Grieth sei mit seiner Struktur und seinen Problemen typisch für die nördliche Niederrhein-Region und besitze daher Modellcharakter, sagt Becker.

Dafür hat die Hochschule zunächst einmal das Büro am Markt des Dorfes eingerichtet. Zeitungsartikel und Berichte sind von innen gegen die Schaufensterscheibe geklebt, die Öffnungszeiten des Büros. Birgit Mosler als Koordinatorin des Projekts und Max Müskens als studentische Hilfskraft sind zweimal in der Woche dort ansprechbar. Sie sollen zusammen mit den Griether Bürgern Ideen entwickeln. Ein Bürger-Wiki, Diskussionsforen, Online-Fragebögen, Newsletter und Social Networks sollen den Austausch unterstützen. An eine Wand im Büro sind Zettel gepinnt. "Think-Tank" steht darüber.

"Es ist der Ideenspeicher", sagt Mosler. Der wurde nach Diskussionen und Gesprächen im Projektbüro mit den Bürgern erstellt. Zusätzlich haben Studenten in einem interdisziplinären Projekt im fünften Semester einen Fragebogen entwickelt und Befragungen im Ort durchgeführt. Schnell habe sich gezeigt, was auf dem Dorf vermisst wird: die Nahversorgung. Es gibt keine Bäcker, Metzger, Läden. Hinzu kommen die fehlende Mobilität mit öffentlichen Verkehrsmitteln und der Mangel an Breitbandversorgung mit einem schnellen Netz. "Was auch klar wurde: Das Dorf braucht einen Ort, an dem man sich trifft, eine soziale Mitte", sagt Mosler. In Südeuropa sei das der Markt. Das funktioniert im nasskalten Nordeuropa aber nicht. Also arbeiten die Studenten an Möglichkeiten, eine neue soziale Mitte zu kreieren. Gleichzeitig versucht man, Strukturen zu entwickeln, wieder einen Tante-Emma-Laden aufzuziehen, einen Dorfladen, der Post, Bank, Mitfahrzentrale und Internetcafé verbindet.

In einer späteren Phase wollen die Wissenschaftler auch die Themen Energie, Tourismus, e-Mobilität und Senioren-WG bearbeiten, sagt Becker. Dann gelte es, die Ergebnisse so zu formulieren, dass sie auf andere Dörfer übertragbar sind. Das Projekt läuft noch zwei Jahre und wurde schon jetzt ausgezeichnet im bundesweiten Wettbewerb "Land der Ideen".

(RP)
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