Neues Hochschulgesetz An NRW-Unis gilt keine Anwesenheitspflicht mehr

Düsseldorf · Ein Passus im neuen Hochschulgesetz, das zum Windersemester 2014/15 in Kraft getreten ist, sorgt für Aufregung an den Universitäten in Nordrhein-Westfalen. Es geht um die "verpflichtende Teilnahme" der Studierenden an Lehrangeboten.

 Fast leere Hörsäle - in NRW künftig Alltag?

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Foto: dpa

Gar zu abwegig ist diese Vorstellung nicht, denn im neuen Hochschulgesetz, das mit dem Wintersemester 2014/15 in Kraft getreten ist, regelt ein Passus die sogenannte Anwesenheitsplicht neu. "Eine verpflichtende Teilnahme der Studierenden an Lehrveranstaltungen darf als Teilnahmevoraussetzung für Prüfungsleistungen nicht geregelt werden, es sei denn, bei der Lehrveranstaltung handelt es sich um eine Exkursion, einen Sprachkurs, ein Praktikum, eine praktische Übung oder eine vergleichbare Lehrveranstaltung", heißt es dort, und das hat vor allem die Lehrenden irritiert.

Studiengänge im Staatsexamen (insbesondere Medizin, Zahnmedizin, Pharmazie) sind von diesen Änderungen nicht betroffen, da sie Bundesrecht unterliegen. Nun stellt sich die Frage nach der Auslegung. Gilt ein Seminar als Ausnahme, weil dort bestimmte Fähigkeiten erlernt werden, die einem Praktikum oder einer praktischen Übung gleichzusetzen sind? Bis diese Frage endgültig geklärt ist, gibt es für die meisten Dozenten nun ein Problem: Wie sollen sie sich verhalten?

Gilt zum Beispiel ein Seminar über die "Rezeption von mittelalterlichen Mythen im Film", in dem die Studierenden ausgewählte Filme vorstellen, nun als Veranstaltung im Sinne einer Vorlesung, oder ist es eher als praktischer Kursus anzusehen, im dem eine bestimmte Fähigkeit erlernt werden kann und in dem dann auch Anwesenheitspflicht gilt? Das könnte problematisch werden. An der Uni Münster gibt es bereits einen "Anwesenheitsmelder", auf dem die Studierenden Seminare angeben können, in denen eine Anwesenheitspflicht gefordert wird.

Der Asta Münster warnt davor, Seminare lediglich mit dem Etikett "praktische Übung" zu belegen, um so die Anwesenheitspflicht durch die Hintertür wieder einzuführen. Besonders schwierig wird es wohl bei den "Beteiligungsnachweisen". Für die Bachelor-Studiengänge heißt es in der Prüfungsordnung: "Im Studium müssen sich die Studierenden nach den Bestimmungen dieser Prüfungsordnung an Pflicht- und Wahlpflichtveranstaltungen einschließlich des fachübergreifenden Wahlpflichtbereichs regelmäßig und aktiv beteiligen", wobei die aktive Beteiligung bekanntermaßen in einen BN (Beteiligungsnachweis) mündet. "Wenn aber die Teilnahme an Lehrveranstaltungen nicht mehr zwingend erforderlich ist, dann entfällt logischerweise auch der BN als Nachweis der aktiven Teilnahme", so Bruno Bleckmann, Dekan der Philosophischen Fakultät der HHU Düsseldorf, in einem Schreiben.

"Vielen Lehrenden scheint der Wegfall der Anwesenheitspflicht ab 1. Oktober als Sabotage der Hochschullehre. Unter dem euphemistischen Titel ,Hochschulzukunftsgesetz' hatte die Landesregierung NRW die Weichen zwar generell in Richtung stärkerer Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten durch das Wissenschaftsministerium gestellt. Die liberale Idee der Hochschulautonomie wird drastisch beschnitten" sagt der Düsseldorfer Sozialwissenschaftler Heiner Barz. "Es gibt Professoren, die den Standpunkt vertreten, man könne vorläufig gar keine Lehrveranstaltungen mehr anbieten, weil völlig unklar sei, was man jetzt als Dozent noch darf und was nicht. Es herrscht massiver Unmut - vor allem auch darüber, dass das Gesetz so kurzfristig gleichsam mitten im Semester-Start in Kraft getreten ist."

Hintergrund der neuen Regelung ist die Tatsache, dass viele Studenten aufgrund familiärer oder beruflicher Engagements nicht in der Lage sind, regelmäßig zu ihren Kursen zu erscheinen. Zudem soll die Eigeninitiative des Einzelnen stärker in den Vordergrund treten, die Aneignung des Lehrstoffs über selbstgewählte Formen bedeutsamer werden. Ein weiteres Argument: Ein guter Dozent braucht keine Präsenzpflicht, um die Studierenden im Hörsaal oder Seminarraum zu halten. Gerade erst hat das Semester begonnen; vielen Studierenden sind die neuen Anweisungen noch nicht vertraut. Der Streit um die Auslegung der relevanten Texte dürfte sich aber noch Monate hinziehen.

(RP)
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