Professoren-Leben Professoren verstummen

Okay, man muss nicht Professor sein, um sich zu gesellschaftlichen Missständen zu äußern oder sich in die aktuelle Politik einzumischen. Siehe Til Schweiger. Auch Sportler und Ex-Sportler, Schauspieler oder Bundesrichter, ehemalige IBM-CEOs oder Altbundeskanzler können mit dezidierten Stellungnahmen und aufrüttelnden Appellen zur öffentlichen Meinungsbildung produktiv beitragen. Man muss umgekehrt auch nicht von jedem Professor denken, dass er superkritische Gedanken oder superinnovative Ideen mit sich herumträgt. Wer den akademischen Betrieb ein bisschen kennt, für den relativieren sich derartige Erwartungen. Aber es ist schon verwunderlich, dass sich aus der Wissenschaft heutzutage eher selten eine Stimme zur geistigen Situation der Zeit oder zur real existierenden Gesellschaftsordnung äußert. Warum ist das so?

Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen hat in der "Zeit" ein paar sehr treffende Beobachtungen dazu notiert, die alle mehr oder weniger um das System falscher Anreize kreisen. Die Selbstdomestizierung des Geisteslebens durch ein auf Zitations-Indices und Drittmittel-Akquise bauendes Beförderungs- und Belohnungssystem trockne die ernsthaften, die tiefschürfenden und die unerschrocken Neuland skizzierenden sozialwissenschaftlichen Anstrengungen aus. Erkenntnisökonomisch gedeihe im heutigen Wissenschaftssystem weder der große Wurf noch die Polemik und schon gar nicht die öffentliche Einmischung. Nachwuchsforscher rackern nur noch für eine möglichst lange Liste von Aufsatzpublikationen in englischsprachigen Peer-Review-Journals und für das Drittmittel-Konto. Professoren wie der Soziologe Ulrich Beck oder der Philosoph Peter Sloterdijk, deren Thesen weithin diskutiert werden, werden rar. Wenn die Wissenschaft nicht zum Nimbus ohne Inhalt werden will, muss man freilich hoffen, dass sie neben der fatalen Struktur der Fehlanreize irgendwann wieder einen Bypass für emphatische Forscher und Enthusiasten des Geistes eröffnet.

(RP)
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