Neuer Vertrag zur Abrechnung von Online-Texten Urheberrecht versus digitales Studieren

Düsseldorf · Der gedruckte Text ist out, heute finden Studenten ihre Seminarunterlagen auf Online-Plattformen. Das könnte bald wieder vorbei sein: Eine neuer Vertrag zum Schutz von Urheberrechten macht die Online-Verbreitung von wissenschaftlichen Texten komplizierter.

 Studenten finden heute ihre Seminarunterlagen oft auf Online-Lernplattformen. Doch wenn zum 1.1.2017 der neue Rahmenvertrag in Kraft tritt, könnte das Geschichte sein.

Studenten finden heute ihre Seminarunterlagen oft auf Online-Lernplattformen. Doch wenn zum 1.1.2017 der neue Rahmenvertrag in Kraft tritt, könnte das Geschichte sein.

Foto: IBM

Wird dieser Vertrag umgesetzt, könnte er das Studieren grundlegend verändern. Und zwar zurück auf die Zeit vor dem Internet, als Studenten sich ihr Lernmaterial noch mühsam und für einiges Geld im Copyshop und in der Bibliothek zusammenkopieren mussten. Studenten im Jahr 2016 dagegen finden in der Regel alle für das Semester relevanten Texte auf Online-Plattformen, auf denen ihre Dozenten sie ihnen - meist kostenlos - zur Verfügung stellen. Doch schon bald könnten die Drucker in den Copyshops wieder heiß laufen.

Der Vertrag, um den es geht, ist der "Rahmenvertrag zu Vergütung von Ansprüchen nach Paragraf 52a Urhebergesetz". Er wurde geschlossen zwischen der Bundesrepublik und den Ländern, vertreten durch die Kultusministerkonferenz, und der Verwertungsgesellschaft Wort (VG Wort), die die Interessen von Autoren vertritt. In ihm ist geregelt, dass ab dem 1. Januar 2017 jeder Text, der von einer Hochschule für Zwecke des Unterrichts und der Forschung öffentlich zugänglich gemacht wird, bei der VG Wort einzeln gemeldet und abgerechnet werden muss. Die Hochschule soll 0,8 Cent pro Seite und Seminarteilnehmer bzw. Mitarbeiter an einem Forschungsprojekt zahlen.

Die VG Wort will so die "angemessene Vergütung der Rechteinhaber", sprich der Autoren, sichern. Das wollen auch die Unis: "Eine gerechte Vergütung der Urheberinnen und Urheber ist auch im Interesse der Hochschulen", heißt es in einer Stellungnahme der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), dem freiwilligen Zusammenschluss der Universitäten und Hochschulen in Deutschland. Ihre Kritik richtet sich vielmehr gegen das Prinzip der Einzelmeldung. Bisher haben sie für die Verwendung von wissenschaftlichen Texten eine Pauschale an die VG Wort gezahlt. Das neue Verfahren würde dagegen zusätzlichen Aufwand bedeuten. Laut Rahmenvertrag muss die Hochschule vor der Meldung zunächst prüfen, ob es sich bei einem Text überhaupt um ein geschütztes Werk handelt und ob es nicht bereits eine anderweitige Nutzungslizenz der Hochschule für dieses Werk gibt. Diesen Aufwand müssten laut Roland Kischkel, Kanzler der Universität Wuppertal und Sprecher der Kanzler der Universitäten in NRW, die Dozenten selbst übernehmen. Dazu bräuchten sie regelmäßige Schulungen und weitere Unterstützung vonseiten der Hochschulverwaltung. "Es entsteht ein nicht kalkulierbarer, großer Aufwand", sagt Kischkel.

Das sieht die VG Wort anders. Aus ihrer Sicht lassen sich die Texte "ohne großen Zeitaufwand" melden, zumal technisch die Möglichkeit geschaffen wurde, die Meldefunktion direkt in die gängigen Lernmanagementsysteme zu integrieren.

Hochschulen und Studentenverbände fürchten dennoch, dass mit Inkrafttreten des neuen Vertrages die Zahl der Seminartexte, die online zur Verfügung gestellt werden, einbrechen wird. Die Universität Osnabrück hat in einem Pilotprojekt die neuen Regeln bereits versuchsweise umgesetzt. Dabei ging die Zahl der digitalen Seminartexte um etwa 75 Prozent zurück. Stattdessen wurden laut HRK "vermehrt Literaturlisten ausgegeben oder Texte beim Lehrstuhl zum Kopieren bzw. Abholen hinterlegt". Über 60 Prozent der Studenten gaben an, weniger Literatur zur Verfügung gestellt bekommen und außerdem höhere Kosten gehabt zu haben, weil sie sich die Materialien selbst beschaffen mussten.

"Der Rahmenvertrag droht (...) eine Ent-Digitalisierung auszulösen, die von der Wissenschaftspolitik und den Hochschulen so nicht hingenommen werden kann", sagt Kischkel, der die Haltung der Hochschulen in NRW und in Niedersachsen vertritt, die sich in der Sache auf einen gemeinsamen Kurs geeinigt haben. Das Prinzip der Einzelmeldung ist aus seiner Sicht weder praktikabel noch von seinem Aufwand her vertretbar. Ähnlich sieht es die HRK: "Eine Einzelfallerhebung ist weder sachdienlich noch in Anbetracht der entstandenen Kosten verhältnismäßig". Die HRK geht von Kosten in Millionenhöhe für die Umsetzung der Neuregelung aus.

Die Hochschulen sind dazu aufgerufen, dem Vertrag beizutreten. Ob die Unis in NRW das tun werden, ist derzeit mehr als fraglich. Die Kanzler der NRW-Hochschulen empfehlen ebenso wie zahlreiche Landesrektorenkonferenzen ihren Mitgliedshochschulen, dem Rahmenvertrag nicht beizutreten. Die Hochschulen in NRW und Niedersachsen haben der VG Wort gemeinsam die Erarbeitung eines alternativen Modells vorgeschlagen und warten laut Kischkel derzeit auf eine Antwort.

Was dies für den Alltag der Studenten bedeuten könnte, lässt sich bislang nur erahnen. "Wird keine Einigung mit der VG Wort erzielt, müssten die Lehrenden die fraglichen Texte, notfalls alle Texte zum Stichtag 31.12.2016 aus den Systemen löschen", sagt Kischkel. Das wäre mitten im laufenden Semester.

(lsa)
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