Dortmund Wann Studenten auschecken sollten

Dortmund · Im Hotel Mama kennt Alexander Bönn das Personal. Er ist 22 Jahre alt, studiert im sechsten Semester Chemieingenieurwesen und wohnt bei seinen Eltern. Das Kinderzimmer hat er gegen das Dachgeschoss eingetauscht - 30 Quadratmeter nur für ihn. Er hat ein eigenes Bad, eine Mikrowelle, einen Kühlschrank. Den Kühlschrank benutzt er nur für Bier: "Wie es sich für einen Studenten gehört." Zum Essen geht er zu seinen Eltern.

Im vergangenen Jahr hat jeder zweite Europäer zwischen 18 und 29 Jahren noch zu Hause gewohnt. Die Hauptgründe: finanzielle Not und eine enge Familienbindung. Auf Dauer geht die Zweckgemeinschaft aber selten gut. In den 70er Jahren haben junge Erwachsene früh die Unabhängigkeit gesucht, um der häuslichen Kontrolle zu entfliehen, erklärt Psychotherapeutin Christiane Wempe. "Heute lebt der Großteil der Jugendlichen glücklich bei Mama und Papa." Jugendliche genießen die Annehmlichkeiten.

Für Alexander Bönn ist das sogenannte Nesthocken eine Frage des Geldes gewesen: "Ich bekomme kein Bafög, aber ich habe auch nicht übermäßig viel Geld - eine eigene Wohnung kann ich mir nicht leisten." Und da Bönn in seinem Heimatort studieren kann, ist ihm die Entscheidung nicht schwergefallen. Ein enges Familienleben gibt es nicht. In seinem Zimmer ist er autonom. "Ich gucke mal mit meinem Vater Fußball, das war's." Er tauscht Glühbirnen aus, repariert den Computer oder tapeziert.

Christiane Wempe hält den Begriff "Hotel Mama" nicht immer für zutreffend. Oft unterstützen Kinder ihre Eltern, so wie Alexander seinen Eltern als Handwerker hilft. "Eltern verlassen sich darauf, dass Kinder für sie da sind, wenn es wirklich einmal darauf ankommt."

Auf Dauer kann es aber nerven, mit seinen Eltern unter einem Dach zu wohnen. Die Stimmung sinkt, die Spannung wächst. Der unruhige Student störe die Eltern, und der Student könne sich nicht frei entfalten, sagt Wempe. Der Intimität sind Grenzen gesetzt. Wempe stellt fest, dass Nesthocker Halt suchen beim Erwachsenwerden. Viele seien verunsichert, verängstigt oder desorientiert. "Der Spätauszug gehört zu einem verzögerten Entwicklungsprozess." Einen Auszug dürfe niemand erzwingen: "Solange die Vorteile für das Zusammenleben überwiegen, besteht kein Grund, die Situation zu verändern." Der richtige Zeitpunkt ist, wenn das Kind sein Leben selbst in die Hand nehmen kann. "Das hängt nicht nur am Alter, sondern an der Gesamtsituation."

(dpa)
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