Düsseldorf West-Studenten schätzen den Osten

Düsseldorf · Früher wollte kaum jemand im Osten studieren. Inzwischen haben sich die Verhältnisse verändert: Günstige Mietpreise, spezialisierte Studiengänge und eine moderne Ausstattung der Hochschulen sind Gründe für diese Entwicklung.

"Sehr überrascht" sei sie gewesen, als sie ihren Studienort Leipzig zum ersten Mal besuchte, sagt Janka Kabus rückblickend. Die heute 26-Jährige suchte nach ihrem Bachelor in Wirtschaftspsychologie an der Kölner Hochschule Fresenius nach einem Master im Bereich Kompetenzentwicklung oder Wirtschaftspädagogik. Zur Auswahl standen nach einiger Recherche die Universitätsstandorte Leipzig und Bamberg.

Obwohl sie Bamberg bereits kannte, gab sie Leipzig eine Chance und fuhr hin, um sich vor Ort umzuschauen. Danach stand ihr Entschluss fest. "Leipzig ist eine tolle Stadt, die viele Möglichkeiten bietet, gerade für Studenten. Die Mietpreise sind günstig und es gibt ein großes kulturelles Angebot. Und es sprechen gar nicht so viele Leute sächsisch, wie man denkt", sagt Kabus lachend.

Mit ihrem Entschluss folgte Kabus einer Entwicklung, die sich bereits seit einigen Jahren beobachten lässt: Ein Studium in Ostdeutschland wird zunehmend zur Normalität in der Biografie von Westdeutschen. Die "Mauer im Kopf" scheint überwunden. Standen 2009 nur gut neun Prozent der Studieninteressierten aus dem Westen einem Studium im Osten offen gegenüber, waren es 2013 schon 17 Prozent. Das belegt eine Studie des Leipziger Instituts für Marktforschung.

Am liebsten gehen Studenten aus dem Westen nach Brandenburg. Dort kamen im Wintersemester 2012/2013 48 Prozent der Erstsemester aus Westdeutschland. An zweiter Stelle steht Mecklenburg-Vorpommern mit 39 Prozent, Schlusslicht ist Sachsen. Dort kamen im Wintersemester 2012/2013 26 Prozent der Erstsemester aus dem Westen.

Für Marco Tullner, Staatssekretär im Wissenschaftsministerium von Sachsen-Anhalt, hat die länderübergreifende Hochschulkampagne "Mein Campus - Studieren in Fernost" großen Anteil an dieser Entwicklung. "Der Osten ist keine Terra incognita mehr", sagt Tullner. Er erinnert sich noch an Zeiten, in denen "Frankreich oder Italien für einen Studenten aus dem Rheinland gedanklich näher waren als Ostdeutschland".

Die Kampagne habe es geschafft, angehende Studenten für die ostdeutschen Hochschulstandorte zu sensibilisieren, indem sie ihnen beispielsweise bewusst gemacht habe, dass im Osten in den vergangenen Jahren viel Geld in eine neue und hochmoderne Ausstattung der Unis investiert wurde. "Die Kampagne ist jetzt in einer Phase angekommen, in der der Fokus auf die Lebensperspektive nach dem Studium gelegt wird", sagt Tullner.

Die Perspektive ist auch Victoria Schneider wichtig. Die 24-Jährige studiert zurzeit noch Bibliotheksmanagement an der Leipziger Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK). "Nach dem Studium möchte ich gerne hier bleiben", sagt die gebürtige Mönchengladbacherin. Zusammen mit ihrem Freund hat sie eine günstige Altbauwohnung gefunden. "Es ist spannend zu sehen, wie hier neue Dinge entstehen, Häuser restauriert werden und viele Leute sich kreativ ausleben", schwärmt sie von ihrer Wahlheimat. Sie hofft, dass sie nach dem Studium eine Stelle in Leipzig finden kann.

Es fällt auf: Sowohl Kabus als auch Schneider studieren Nischenfächer, die längst nicht an jeder Universität zu finden sind. Auch damit profiliert sich Ostdeutschland. So findet man in Cottbus beispielsweise einen Master in "Klimagerechtem Bauen und Betreiben", in Greifswald ist ein Bachelor in "Baltistik" möglich und in Erfurt lockt ein Master mit dem Titel "Anthropologie des Vorderen Orients in globaler Perspektive". Neben günstigen Mietpreisen, lebenswerten Städten und seltenen Studienfächern, ist auch der doppelte Abiturjahrgang 2013 ein Motor für das Interesse junger Westdeutscher an ostdeutschen Universitäten. Wer im Westen keinen Studienplatz finden konnte, schaute sich auch im Osten um. Auch dafür ist die länderübergreifende Kampagne gestartet worden.

Der Westen, in dem die Studienplätze knapp sind, braucht die Universitäten in Ostdeutschland. Ostdeutschland hingegen - von der demografischen Entwicklung stärker betroffen als der Westen - braucht die jungen Leute aus dem Westen. Im besten Fall wollen sie auch nach dem Studium bleiben - so wie Victoria Schneider.

(RP)
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