Migration Mit Spaß übers Anderssein reden

Was ist denn eigentlich Migration?", frage ich die Schüler, von welchen fast jeder selbst Migrationshintergründe hat. Bleiernes Schweigen senkt sich über die Reihen. Ich frage mich kurz, ob es an der Uhrzeit liegt: Montagmorgen, zwanzig nach acht im Kunstunterricht einer achten Realschulklasse in Duisburg.

Müdigkeit ist nach chronischer Unlust ja bekanntlich der härteste Gegner aller Lehrenden. Nach fünf recht langen Minuten frage ich nach: "Hat denn keiner eine Idee? Habt ihr denn das Wort schon mal gehört?" Alle nicken einträchtig. Man ist von dieser Nachfrage sichtlich genervt. Erklären kann oder möchte es aber niemand.

Ich werfe alle Planung über Bord und teile stattdessen ausgewählte Superman-Comics als Beispiel aus. Der Input gelingt. Nun reden die Schüler frei über ihre Erfahrungen von Anderssein, Mobbing oder über verschiedene Kulturhintergründe, und mir wird klar, dass nur "graue Theorie" nicht die Antwort sein kann. So können gerade Comicgeschichten zur Grundlage der Thematisierung überaus wichtiger, alltagspolitischer Themen werden, die aber nur selten auf der Ebene der Lebenserfahrung der Betroffenen diskutiert werden.

Das ist der Ansatz des neuen interkulturellen Praxisprojekts "Quo Vadis - Interkulturalität im Comic", welches am Institut für Neuere Deutsche Literatur der Heinrich-Heine-Universität (HHU) unter der Leitung von Dr. Angela Weber in Zusammenarbeit mit der FH Düsseldorf durchgeführt wird. In Blockseminarform konnten wir Studierenden das Thema "Interkultur, Migration und Comic" erforschen und diskutieren. Doch diesmal sollten die Ergebnisse nicht im "Elfenbeinturm der Wissenschaft" einstauben. Deshalb wurden wir über mehrere Wochen an mehrere Partnerschulen in NRW geschickt, um das Thema mit Spaß, Kunst und praktischem Arbeiten in die Köpfe der jungen Generation zu bringen. So kam ich mit einem Stapel Superman-Comics an die Gustav-Heinemann-Realschule in Duisburg.

Migration, Integration, Interkulturalität und Comics haben viel gemeinsam. Beispiel Superman: ursprünglich selbst von einem anderen Planeten als Flüchtling auf die Erde "migriert", weil seine Heimat zerstört worden ist, bemüht er sich seither, in die Gesellschaft der Erdlinge aufgenommen zu werden. Diese reagieren aber nur mit Angst und Hass auf den noch jungen Fremdling.

So legt der als Kal-El geborene Fremde zwei Masken an: Superman, den Helden, und Clark Kent, den Inbegriff des Durchschnittsmannes. Mit Durchschnitt und Angepasstheit kann man auf der Erde eben meist besser umgehen. So war Superman schon früh eine Möglichkeit für die emigrierten, jüdischen Autoren, ihre eigenen Migrationserfahrungen in Amerika zu reflektieren.

Das Praxisprojekt ist ein Versuch, eine Form der Lehre und des Studiums zu entwickeln, die Schule, Wissenschaft und Alltag sowie Studium, Arbeits- und Berufsleben in Einklang bringen soll. Die Studierenden finden das gut. Zu oft haben sie (besonders in den Geisteswissenschaften) das Gefühl, dass das Studium an viel zu wenigen Stellen auf das Berufsleben vorbereitet. Die Wissenschaft soll nicht in ihrer eigenen kleinen Fachwelt gefangen bleiben, sondern auch in den normalen Alltag der Menschen eindringen und so möglichst gesellschaftliche Änderungen herbeiführen. Gerade das wollen viele junge und engagierte Studierende: aktiv etwas verändern.

Die ersten Erfahrungen mit dem Projekt sind durchweg positiv, deshalb wird es in den kommenden Semestern weiter wachsen und weitere Studierende werden an neuen Praxisseminaren teilnehmen können. Sie werden sich zudem mit der Konzeption einer Wanderausstellung durch NRW beschäftigen, die es zu diesem Thema geben soll.

(RP)
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