Entfreundet von der eigenen Tochter

Wie es sich anfühlt, wenn die halbwüchsige Tochter einem bei Facebook Freundschaft kündigt: Kolumnist Jan Weiler schreibt darüber in seinem neuen Buch "Das Pubertier". Wir drucken ein Kapitel aus dem Bestseller.

Letzte Woche wurde ich zum vierten Mal von meiner Tochter bei Facebook defriended. Drei Mal gelang es mir durch kalkuliertes Wohlverhalten, von ihr begnadigt zu werden. Sie nahm meine Freundschaftsanfragen wieder huldvoll an und wies mich darauf hin, dass ich in Zukunft mein Lästermaul halten müsse und die Konversation mit ihren Freunden nicht mehr durch unbotmäßige Kommentare zu stören hätte. Und am Mittwoch ist es dann passiert. Knappe Nachricht von Carla, dass ich endgültig raus sei, sie habe mich gewarnt, mehr als einmal und damit basta. Was war geschehen?

Ich muss zugeben, dass ich mich wieder nicht zurückhalten konnte. Ich postete einen Kommentar zu einer Diskussion, in der es um Spießigkeit ging. Carla und die anderen Pubertiere unterhielten sich darüber, welche Eltern besonders, nicht so sehr oder gar nicht spießig seien. Carla postete in diesem Zusammenhang, dass ihr Oller (ich!) neuerdings Hausschuhe trage. Das sei ja wohl das Allerletzte. Achtzehn Heranwachsende taten per "Gefällt mir"-Button kund, dass sie derselben Meinung waren. Und dann schrieb ich leicht beleidigt eben auch was, dafür sind diese Kommentarfelder schließlich da. Ich schrieb: "Ihr seid doch selber alle kleine Spießer."

Tja. Und damit war mein Schicksal besiegelt.

Und ja: Ich trage Hausschuhe. Ich bin fünfundvierzig und habe kalte Füße. Früher war ich ein Erdkern, jetzt bin ich Ötzi, der tiefgekühlte Alpenopa. Wahrscheinlich lässt die Durchblutung nach. Der Verfall beginnt. Schrecklich. Und denken Sie ja nicht, dass ich stolz auf meine Puschen bin. Ich habe mich lange gegen ihre Anschaffung gewehrt. Sara suchte im Internet nach Modellen, die nicht ganz furchtbar aussehen und trotzdem die Quanten warm halten.

Es vergeht kein Tag, ohne dass ich an mir heruntersehe und denke: Himmel Herrgott, wo bist du gelandet? Dann schlurfe ich in die Küche und erfreue mich an der wärmebedingten Beweglichkeit meiner Zehen.

Vielleicht bin ich halt ein Spießer. Aber wenigstens einer mit warmen Füßen. Die Frage ist doch: Sollte ich lieber ein Leben lang kalte Flossen haben, nur damit ich mir selber sagen kann: "Ich bin ästhetisch unbesiegbar"?

Für wen die Mühe? Sieht doch eh keiner.

Ich weiß, wahrscheinlich darf man sich nicht so gehenlassen. Karl Lagerfeld hat einmal gesagt: "Wer Jogginghosen trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren." Aber er ist auch nicht mehr der Jüngste und hat sicher öfter kalte Füße. Er trägt bestimmt warme Puschen. Und was dieser Fächerwilli darf, das darf ich schon lange.

Nachdem Carla mich entlassen hatte, schrieb ich ihr Mails.

Ich jammerte, ich flehte, ich drohte und schickte schließlich zahllose SMS mit der Bitte um Wiederaufnahme, aber sie antwortete nur: "Nein, Papa." So muss es sich anfühlen, wenn man von den Kindern in ein Altenheim im Hunsrück abgeschoben wird. Kurz bevor sich das Facebook-Fenster meiner Tochter für mich schloss, sah ich noch ein Posting von ihr. Sie lud alle Freunde ein, ihren Blog zu lesen. Unser Pubertier schreibt einen Weblog.

Um in dessen Genuss zu geraten, muss man ihr eine Nachricht schicken, dann sendet sie den Link zurück. Nur meinen Antrag lehnte sie ab. Sie schrieb mir aus ihrem Zimmer eine Mail, derzufolge ich mich gehackt legen könne und was ich eigentlich dauernd von ihr wolle. Das ist ganz einfach: Ich habe Angst, dass sie da etwas über mich erzählt. Also schrieb ich über Facebook ihre Freundinnen an und bat um den Link zu ihrem Blog. Sie antworteten, es sei ihnen strengstens untersagt, mich damit zu versorgen. Dann schickte mir Franzi (den Namen habe ich zu ihrem Schutz geändert) einfach kommentarlos den ersten Blogeintrag meiner Tochter. Da wurde mir einiges klar.

Carla schrieb: "Schön, dass Ihr da seid. Ich werde von heute an mit glamourösen Berichten Euer Leben verschönern. Natürlich weiß ich, dass das Internet keine Geheimloge ist. Irgendwie kommt immer alles raus. Nur einer darf diesen Blog auf keinen Fall lesen: mein Vater. Schließlich ist er die Hauptperson. Er und seine Hausschuhe. Hahaha! Er wird Euch um den Link zu dieser Seite anbetteln. Er wird Komplimente machen und sich womöglich als jemand anders ausgeben. Fallt nicht darauf herein, denn sonst: Schreibe ich nicht weiter."

Kein Wunder, dass ihre Freunde dichthielten. Aber irgendwie komme ich schon an den Link. Und wenn ich Carla dafür meine Hausschuhe unter die Nase halten muss.

(RP)
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