Frank Hoffmann "Das Theater ist nicht da, um das Publikum zu deprimieren"

Der Leiter der Ruhrfestspiele setzt in diesem Jahr ab dem 3. Mai auf deutschsprachige Stars und wählte das Motto "Aufbruch und Utopie".

"Aufbruch und Utopie" haben Sie die Ruhrfestspiele in diesem Jahr überschrieben. Ist das der Versuch, in Krisenzeiten einen positiven Impuls zu setzen?

Hoffmann Ja, das heißt aber nicht, dass es ein Schönwetter-Festival wird. In beiden Begriffen findet sich ein innerer Widerstand: Utopie beschreibt einen Zustand, den man erst erreichen muss. Den Aufbruch muss man wagen. Beide Wörter drücken eine Spannung aus, die ergiebig ist für das Theater.

Also kein Gute-Laune-Appell an Krisen-Europa?

Hoffmann Es treibt mich schon um, dass Europa in eine dramatische Situation geraten ist, die Arbeitslosenzahlen etwa in Spanien und Frankreich sind erschütternd, aber in Deutschland wird das kaum wahrgenommen. Nicht, dass ich Deutschland den wirtschaftlichen Erfolg nicht gönne, aber in Resteuropa sieht es schlimm aus. Ich kann aber von meinen Zuschauern nicht verlangen, dass sie zum Festival kommen, um sich weiter über die Krise zu informieren. Das ist nicht die Aufgabe von Theater.

Sondern?

Hoffmann Theater muss aus seiner Distanz über die Wirklichkeit hinaus in die Zukunft blicken. Und in die Vergangenheit. Da gibt es auch keine Lösungen, aber Anregungen. Und die dürfen dann durchaus intellektuell unterhaltsam sein. Wir sind nicht da, um Publikum zu deprimieren.

Die Eröffnung des Festivals haben Sie Stefan Pucher übertragen, der mit dem Deutschen Theater Berlin "Hedda Gabler" zeigt. Warum keine internationalen Stars wie Cate Blanchett oder Philip Seymour Hoffman?

Hoffmann Vielleicht sind Puchers Schauspieler ja internationale Stars. Deutschland ist Hollywood — das deutsche Theater ist führend in der Welt, da kann man ein Festival guten Gewissens mit einem deutschsprachen Regisseur eröffnen, der immer für eine Überraschung gut ist und sehr vielschichtig inszeniert.

Ibsens "Hedda Gabler" findet sich gerade auf vielen Spielplänen — ist diese Geschichte über ein nicht gelebtes Leben ein Stück zur Zeit?

Hoffmann Es ist ein Gesellschaftsstück und eines, das die zutiefst persönliche Geschichte einer Frau erzählt. So muss Theater sein, von der Gesellschaft handeln, aber auch von dem, was Menschen berührt. Hedda Gablers Fragen müssen wir uns alle stellen. Haben wir unser Leben gelebt? Ich weiß es nicht.

Die Frage stellt sich auch bei dem Stück, das Sie in diesem Jahr inszenieren: Gerhart Hauptmanns "Rose Bernd". Warum ausgerechnet dieser Stoff über eine Kindsmörderin?

Hoffmann Das Stück hat mich umgehauen. Rose Bernd ist eine Frau in einer Männerwelt, die ihr Kind tötet, weil sie es in dieser Welt nicht behalten kann. Zunächst dachte ich, das sei heute überholt, aber wenn man Zeitung liest, stößt man auch heute auf solche Fälle. Und zwar häufig. Das zeigt, wie viel Armut, Ratlosigkeit, Verzweiflung es auch in der deutschen Gesellschaft gibt.

Sie leiten die Ruhrfestspiele jetzt schon seit neun Jahren — was gefällt Ihnen in Recklinghausen so gut?

Hoffmann Die Ruhrfestspiele sind ein Geschenk, ein Juwel! Sechs Wochen ein Programm machen zu dürfen mit den spannendesten Theaterleuten Deutschlands und der Welt, das ist Luxus — die Art von Luxus, die ich liebe.

DOROTHEE KRINGS FÜHRTE DAS INTERVIEW.

(RP)
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