Prag Der Himmel über Prag

Prag · Es ist keine lange Reise nach Prag. Und sie ist lohnenswert. Ein Rundgang mit US-Autor Jaroslav Kalfař, der seine Heimatstadt wiederentdeckt hat.

Wer noch nie in Prag war, aber erzählt, dass er jetzt auch endlich mal hinfährt, bekommt immer dasselbe gesagt: supertolle Stadt, irre Architektur und erst das Bier! Probier bloß das Bier!

Das mit dem Bier finden anscheinend auch die Einheimischen gut, und so kommt es, dass man sich am Abend in einem vollen Wirtshaus wiederfindet: lange Holztische in einem noch längeren gewölbten Gastraum, viel Wurst auf der Karte und Bier aus Krügen, das sie an einer Theke ganz aus Glas mit Neonröhren an den Wänden ausschenken. Hier spielt das neue Prag mit dem Schick des Traditionellen.

Der Autor Jaroslav Kalfař hatte das "Lokál Dlouhááá" am Rande der Prager Altstadt ausgesucht, es ist der Abschluss eines Tages, an dem der US-Amerikaner einmal durch seine Heimatstadt führte. Kalfař ist in Prag geboren und aufgewachsen, mit 15 wanderte er nach Florida aus, heute - 13 Jahre später - lebt er in New York. Dort, im großen US-Verlag "Little, Brown" erschien Anfang des Jahres sein erstes Buch, das nun auch auf Deutsch vorliegt. "Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt" heißt der temporeiche Debütroman, der auf einem Prager Kartoffelacker beginnt. Von dort aus hebt das Raumschiff "JanHus1" an einem warmen Aprilnachmittag im Jahr 2018 ab, an Bord sind der Physiker Jakub Procházka und die Hoffnungen einer Nation, einmal allen anderen voraus zu sein. Denn die Rakete fliegt in Richtung einer Wolke namens Chopra, die sich zwischen Venus und Erde gelegt hat. Astronaut Procházka soll Proben nehmen und dann eiligst zurückkehren natürlich kommt alles anders.

Ortswechsel, mittags, immer noch Prag: "Von hier aus startet das Raumschiff", sagt Kalfař und zeigt mit dem Finger aufs Stadtzentrum, das vor ihm liegt. Er steht auf einem der Hügel, die den dicht bebauten Kern der tschechischen Hauptstadt umgeben. Letná Park heißt dieser grüne Fleck, zu dem einen der Autor zu Beginn seines Rundgangs führt, und den man unbedingt besuchen sollte, wenn man möglichst ungestört die Stadt überblicken möchte. Direkt darunter fließt die Moldau. Zu Fuß gelangt man von hier aus bequem in die überfüllte Altstadt. "Paris des Ostens" wird Prag zuweilen genannt. Dabei erinnert der Touristen-Ansturm viel mehr an Venedig.

Kalfař erzählt, er habe die Stadt bei seiner ersten Rückkehr kaum wiedererkannt. "Es fühlte sich an, als hätte ich geblinzelt und Prag sich in der Zwischenzeit komplett verändert." Am Altstädter Ring, Prags zentralem Platz, haben sich längst Luxusmarken eingerichtet: Dior, Brioni und Gerhard Richter, dessen Werke zurzeit in der Nationalgalerie gezeigt werden. Die Stadt drohe zu "einer architektonisch höchst gelungenen Einkaufsmeile" zu verkommen, schreibt Kalfař in seinem Weltraum-Prag-Roman. Das Buch ist dann besonders stark, wenn es nicht aus dem All, sondern vom Prag der Wendejahre erzählt; wenn es Bezug nimmt auf Jan Hus, den Reformator, oder Hanu, der der Sage nach die berühmte Prager Rathausuhr gefertigt und später auch zerstört haben soll. Den Roman überhaupt in Prag spielen zu lassen, darin wurde Kalfař von seinem New Yorker Lehrer bestärkt: dem Bestsellerautor Jonathan Safran Foer. Kalfař, der seit 2016 US-Bürger ist, nennt Prag denn auch sein Zuhause. "Es ist die Stadt meiner Erinnerung", sagt er. In New York habe er indes das Gefühl, die Stadt könne ihn jederzeit erledigen.

Für Touristen ist Prag die Stadt der Karlsbrücke und des sehenswerten, aber düsteren Kafka-Museums am Ufer der Moldau. Etwas abseits dagegen, im Stadtteil Holeovice, liegt das Dox, ein Ausstellungshaus für zeitgenössische Kunst, dessen Gründung und Finanzierung ein dortiger Unternehmer vorangetrieben hat. Das Dox, das in einem vollständig sanierten Fabrikhallen-Komplex untergebracht ist, leistet sich zurzeit eine Ausstellung zu "Big Data" und eine Erweiterung der Fläche, am Anbau wird zurzeit gearbeitet. Quer über zwei Trakten des Hauses liegt ein 42 Meter langes und begehbares Luftschiff aus Holz. Jaroslav Kalfař hat dort schon gelesen. Sein Buch ist in Tschechien ein Bestseller.

Wer einmal in Prag war, kommt bald wieder, zumindest geht das vielen so. Autor Kalfař denkt zurzeit über einen Zweitwohnsitz nach, ganz zurückziehen möchte er aber nicht. Das Schreiben über Prag, sagt er, habe ihn erst wieder mit der Stadt verbunden. Sein nächstes Buch soll dann in New York spielen.

(kl)
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