Düsseldorf Der späte Mendelssohn war ein stürmischer Radikaler

Düsseldorf · Unter Musikfreunden hat es sich eingebürgert, nach Düsternis in seinen Musikstücken zu suchen, wenn von traurigen Lebensphasen eines Komponisten die Rede ist. Als ob Leben und Kunst zwangsautomatisch aufeinander reagierten! Mozart beispielsweise schrieb besondere heitere Musik, als gerade seine Mutter gestorben war. Mancher Tonsetzer verfügt da über erstaunliche Selbstheilungskompetenzen.

Bei Felix Mendelssohn Bartholdy war das nicht anders, obgleich uns das späte Streichquartett f-Moll op. 80 aus dem Jahr 1847 immer wieder als heftige Reaktion auf den Tod seiner geliebten Schwester Fanny untergeschoben wird. Von diesem Tag an habe er rauer, wilder, erlebnistiefer komponiert. Das ist Unfug. Es handelt sich hierbei um ein besonders radikales Werk, in das man nichts von außen hineindeuten sollte. Der Komponist war einfach reifer, reflektierter und mutiger auf seiner Ausdrucksskala geworden.

Jetzt können wir den musikalische Schaffensweg des Meisters, der in Düsseldorf eine wichtige Station seines Lebens hatte, anhand seiner Streichquartette und -quintette abschreiten. Dazu ermuntert uns das großartige Mandelring-Quartett, das längst zu führenden Ensembles seiner Art weltweit zählt. Die Mandelrings (Sebastian Schmidt und Nanette Schmidt, Violine; Roland Glassl, Viola; Bernhard Schmidt, Violoncello) musizieren mit einem ungeahnten Ausdruckshunger. Sie verzärteln Mendelssohn nicht als angeblich dezenten Sendboten zwischen Beethoven und der deutschen Romantik, sondern weisen ihn als kühnen Expressionisten aus.

Vor allem widerstehen die Mandelrings der Versuchung, Mendelssohn mit flötendem, vibratolosem Spiel herabzukühlen. Sie setzen ihn unter Strom, sie hetzen ihm Stürme auf den vierstimmigen Leib, sie tun alles, damit er aus der Ecke des unscheinbaren Apollinikers herausgerät. Das gelingt grandios in dieser exemplarischen Gesamtaufnahme.

Mendelssohn, Kammermusik für Streicher; Mandelring-Quartett (audite 4 CD 21.436 / Vertrieb: edel).

(w.g.)
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