Rom Der verkannte neue Kardinal Müller

Rom · Franziskus und sein oft als dogmatisch verschrieener Glaubenspräfekt sind sich in ihrer Kapitalismus-Kritik einig.

Der Name Gerhard-Ludwig Müller, bei dem neuerdings zwischen Vor- und Zuname ein "Kardinal" steht, löst in Teilen der deutschen Öffentlichkeit einen dreifachen Reflex aus: Kopfschütteln, Aufstöhnen, Wutschnauben. Andere Reaktionen sind: "O Gott, o Gott, der Panzerkardinal seiner Heiligkeit." Oder: "Wie kann ein Erneuerer-Papst wie Franziskus ausgerechnet diesen katholischen Bewahrer und Dogmatiker schlechthin ins Kardinalsgremium, also den Senat der Römischen Weltkirche, aufnehmen?"

"Vorsicht an an der Bahnsteigkante!", möchte man den fix urteilenden, auch verurteilenden Gegnern des 66 Jahre alten Präfekten (Ministers) der vatikanischen Kongregation für die Glaubenslehre zurufen. Wie alle wirklich interessanten Menschen zählt auch der noch von Benedikt XVI. eingesetzte Chef des ältesten, berühmtesten, auch berüchtigsten ("Heilige Inquisition", "Heiliges Officium") Dikasteriums der Römischen Weltkirche nicht zu den Eindimensionalen. Es gibt den ehemaligen Münchner Theologieprofessor Müller, der mehr als 400 selbstverfasste Schriften veröffentlicht hat — seine bekannteste ist eine weltweit beachtete Dogmatik. Und es gab den Regensburger Bischof, der die oberpfälzische Volksfrömmigkeit auch dadurch stützte, dass er zum alljährlichen Kötztinger Pfingstritt ein Pferd bestieg und vom Ross aus Menschen und Landschaft segnete.

Da gab es den Bischof, der auf dem Höhepunkt des Missbrauchsskandals in nur noch komisch zu nennender Verteidigungshaltung eine "Pogromstimmung" gegen die katholische Kirche diagnostizierte. Und da war wiederum der Bischof und spätere Kurienerzbischof Müller, der wie kaum ein prominenter deutscher Gottesmann für ein Verbot der rechtsextremen NPD eintrat und der vorkonziliar handelnden Pius-Bruderschaft die Stirn bot.

Und weiter zum Facettenreichtum des neuen Kardinals: Gerhard-Ludwig Müller kann schroff sein, wenn er etwa sein kategorisches Nein zum Frauen-Priestertum, sein entschiedenes Ja zur Ehelosigkeitspflicht der Priester oder zur Unauflöslichkeit der nach katholischem Verständnis sakramentalen, vor dem Altar geschlossenen Ehe allen entgegenschleudert, die hier von Rom Einlenken und Anpassen an den Zeitgeist fordern.

Derselbe Kirchenmann verkörpert im persönlichen Gespräch die Bescheidenheit des beschlagenen Gelehrten und einen leisen rheinischen Humor, den er aus unbeschwerten Kinder- und Jugendtagen in Mainz-Finthen hinübergerettet hat ins Erwachsenenleben.

Müller hat als Bischof von der Lehre abweichende, er würde sagen: abirrende Geistliche gemaßregelt. Da gab's kein Pardon. Pardon gab's jedoch für einen Kaplan, der wegen pädophiler Übergriffe aufgefallen war und für den man an anderer Stelle wieder Verwendung fand, allerdings, nachdem Gutachter ihn als künftig ungefährlich eingestuft hatten.

Weitere zwei Seiten Müllers: Er sagte einerseits zum Beispiel im Interview mit unserer Zeitung, man könne nicht konfessionelle Unterschiede zwischen Katholiken und Protestanten einebnen; andererseits engagierte sich der Theologieprofessor in der Deutschen Bischofskonferenz mit Herz und Verstand für ökumenische Fortschritte.

Schließlich: Wer meint, Franziskus und Müller — die beiden passten überhaupt nicht zusammen, der irrt. Als jetzt der Papst aus Argentinien zu Müllers neuem Buch über die "Povera", die Armen und die Armut, ein achtseitiges Vorwort verfasste, da wurde auch den letzten Zweiflern klar, dass der Papst und einer seiner wichtigsten Berater (man sieht sich mindestens einmal pro Woche) in ihrem Kampf für die Rechte der Mühseligen und Beladenen auf der Welt, für die Grundzüge der katholischen Soziallehre Brüder im Geiste sind.

Beide, Franziskus in Buenos Aires und Müller in Lima (Peru) haben als Geistliche Erfahrungen mitten unter den Ärmsten der Armen gesammelt. Müller, den viele hierzulande als engstirnigen Kirchenmann verkennen, gehört zu den weltgewandten und weit gereisten Klerikern. Er spricht Spanisch, als sei es seine zweite Muttersprache. So oft er früher für mehrere Wochen in die Armenviertel Perus aufbrach und in sein Heimatland zu den vergleichsweise Wohlstands-Katholiken zurückkehrte, erinnerte er Gesprächspartner an Jesu Wort: Was du aber an den geringsten meiner Brüder getan hast, das hast du mir getan. Die verwöhnte Weinerlichkeit hierzulande kam dem Lateinamerika-Heimkehrer oft "spanisch" vor.

So wie Papst Franziskus die Kirche wieder jesuanischer machen, also wieder mehr auf den Ursprung hin ausrichten will ("Zurück zu den christlichen Wurzeln"), so denkt auch der nunmehr mit Kardinalspurpur versehene Karl-Lehmann-Schüler Gerhard-Ludwig Müller: Bloß keine "Kirche light", allen wohl und niemandem wehe; Nein zu einer Europa-zentrierten, im weltlich-parteilichen Sinn liberalen Kirche. Nein zum Anbeten von Wohlstandsgötzen. Müller, der mit dem lateinamerikanischen Befreiungstheologen Gustavo Gutierrez ein Buch über den Kampf gegen die Armut auf dem Subkontinent geschrieben hat, graust es ebenso wie wie Franziskus vor einer Kirche, die sich weniger an Jesus, dafür mehr an Zeitgeistmoden orientierte.

(RP)
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