Interview mit Soziologe Heinz Bude Die Ängste der Deutschen

Der Soziologe Heinz Bude untersucht, warum so viele Menschen unbestimmte Ängste plagen, obwohl es dem Land wirtschaftlich gut geht.

2013: Das sind die größten Ängste der Deutschen
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Düsseldorf Abstiegsangst, brüchige Bindungen, Überforderung — in seinem Buch "Gesellschaft der Angst" analysiert Heinz Bude die Gründe für Angstgefühle, die sich in der Mitte der deutschen Gesellschaft ausbreiten.

Warum haben die Deutschen Angst?

Bude Das hat Gründe, die mit Veränderungen im Ausstiegsgeschiebe zu tun haben. Es gibt Leute, die haben eine gute Bildung, ein respektables Elternhaus, haben aber trotzdem das Gefühl, dass sie das Nachsehen haben. Sie gehören vielleicht zur kreativen Klasse, die ein Viertel erobert hat, jetzt aber merkt, dass sie an den Rand gedrängt wird. Andere, die eine ähnliche Herkunft, die gleiche Bildung haben, besitzen mehr Geld, ziehen von außen zu, können sich teureren Wohnraum leisten. Und auf einmal empfinden selbst Menschen aus der bürgerlichen Mitte ihren Wohlstand als prekär. Es wird unklarer, wo man landet.

Es geht also um die Angst, es nicht mehr besser zu haben als die eigenen Eltern?

Bude Früher galt das Versprechen, wenn Du Dich ein bisschen anstrengst, etwas für Deine Bildung tust, dann wirst Du schon auf einem Dir gemäßen Platz in der Gesellschaft landen. Es musste sich nicht jeder Traum erfüllen, aber die meisten, die heute zu den Älteren gehören, haben das Gefühl, dass es für sie eigentlich gut ausgegangen ist im Leben. Die Jüngeren glauben dieses Versprechen nicht mehr. Obwohl ihre realen Aussichten nicht unbedingt schlechter sind, leben sie nicht mit einem Versprechen, sondern mit der Drohung, zu versagen und sich mit einem Mal hinten anstellen zu müssen. Wir erleben die Umstellung vom Aufstiegsversprechen zur Exklusionsdrohung. Das ist der soziologische Grund für die Ausbreitung einer Stimmung der Angst.

Stimmung heißt, die Leute empfinden eine diffuse Angst, ohne sich vor konkreten Gefahren zu fürchten?

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Foto: dapd

Bude Ja, es geht nicht um Ebola oder den IS, sondern um das Empfinden, dass die Welt im Ganzen schliddrig geworden ist.

Das sind Wohlstandsängste, oder?

Bude Das ist eine typische Abwehrreaktion auf das, was ich meine. Was Sie als Wohlstandsängste abtun, sind nun mal die Ängste unserer Gesellschaft. Schauen Sie in die Niederlande, in dieses einst so liberale Land mit seinen Canabiscafés. Fast wäre dort ein rechtspopulistischer Politiker zum Ministerpräsidenten gewählt worden. Selbst Wohlstandssorgen können Gesellschaften kaputt machen.

Ich meinte eher, dass unsere Ängste durch den Wohlstand verursacht werden, weil der darauf fußt, dass sich einer gegen den anderen durchsetzen muss. Schürt das nicht Angst?

Bude Die Menschen haben jedenfalls das Gefühl, dass es uns "erschreckend gut geht", und sie fürchten, dass das nicht immer so bleiben wird. Menschen hatten natürlich schon immer Angst vor Konkurrenz, Verdrängungsangst ist nichts Neues. Neu ist ein sozialer Typus, der seine Orientierung vor allem bei den anderen sucht. Wir sind heute alle mit einer ungeheuren Kontaktsensibilität ausgestattet. Das wird uns überall beigebracht: Teamwork, Soft Competences - von der Schule bis zur Uni wird uns gesagt, wir müssten uns auf andere einstellen, Kompromisse eingehen, soziale Geschmeidigkeit an den Tag legen. Das macht uns zu Radarmenschen, die nicht ihrem inneren Kompass folgen, sondern ihre Antennen hochfahren, um die Erwartungen der anderen zu erfüllen. Aber dabei geht es nicht um Anerkennung, sondern ums Durchkommen.

Das ständige Vergleichen mit anderen macht uns also ängstlich?

Bude Ja, das Selbst, das vom Blick der anderen lebt, ist unsicher. Zwei Philosophen haben die Ursachen dieser Unsicherheit beschrieben: Kierkegaard, der gesagt hat: Du musst Dein Leben selber führen! Nur Du bist verantwortlich für Deine Geschicke. Das allein kann einen schon zum Zittern bringen. Hinzu kommt die Botschaft von Sartre: "Die Hölle - das sind die Anderen". Unsere Nächsten sind im Prinzip ziemlich unzuverlässig. Sie nehmen dieselbe Freiheit in Anspruch, die wir selbst in Anspruch nehmen können: Auf der Stelle nein zu sagen, wenn uns etwas nicht passt. Das alles ist schwer erträglich.

Ist nein zu sagen nicht ein Zeichen von Individualismus - und damit Ausweis unserer Zeit?

Bude Ich denke, dass die merkwürdige Epoche des Neoliberalismus, in der das Individuum alles galt, auch mental zu Ende ist. Die Menschen dachten eine gewisse Zeit, die Welt sei ein Kaufhaus, jeder müsse sich unter all den Identitätsangeboten nur etwas aussuchen. Heute setzt sich wieder die Einsicht durch, dass jeder zwar wählen kann, aber selbst auch gewählt werden muss. Und darüber hat niemand die Kontrolle. Individualisten haben es also immer mit der Freiheit des anderen zu tun, sich grundlos loszusagen. Und das ist wieder so eine Bedrohung, die diffuse Angst auslöst.

Die Gesellschaft fürchtet sich also vor der Brüchigkeit von Bindungen?

Bude Ja, Sie sehen das etwa daran, dass viele Menschen Partnerschaft und Familie verwechseln. Die moderne Familie ist nicht die Erweiterung der "Partnerschaft im Lebenskampf", wie es Menschen nach dem Krieg noch ausgedrückt hätten. Sie beruht eher darauf, dass Erwachsene sich einen Menschen verschaffen wollen, der von ihnen nicht loskommt - das Kind. Mit Kindern hat man eine unkündbare Beziehung. Das suchen Menschen heute, darum gründen sie Familien.

Kein guter Grund, um Kinder in die Welt zu setzen.

Bude Die Umstellung von der partnerzentrierten auf die kindzentrierte Familie zeigt zumindest die Knappheit verlässlicher Bindungen und den Hunger danach. Die heute 40-Jährigen haben ein genaues Gespür für die Unverlässlichkeit von Beziehungen und versuchen, sich stabile Bindungen zu verschaffen. Sie wissen, dass Lebenserfolg immer auch Partnererfolg ist. Und dann ist das Scheitern an Partnerschaft natürlich eine furchtbare Niederlage. Darum ist der Partner immer auch eine Bedrohung, weil man ja nie weiß, wie lang die Liebe dauert.

Angststress sei Sinnstress, schreiben Sie in Ihrem Buch "Gesellschaft der Angst". Lebenssinn mussten die Menschen aber immer schon suchen.

Bude Ja, aber heute haben sie das Gefühl, dass mit jeder Entscheidung eigentlich das ganze Leben auf dem Spiel steht. Heute dauern Karrieren nicht mehr 40 Jahre, heute soll jeder lebenslang lernen, darf im Alter keine ruhige Kugel mehr schieben. Sinnstress ist also nicht die Frage beim Glas Rotwein nach der eigenen Rolle in der Welt, sondern eine Frage der Karriereplanung - und zwar bis zum Tod. Es gibt ja auch gutes und schlechtes Sterben, man muss sich darum kümmern, in welches Hospiz man kommt. Der Einzelne kann sein Leben umfassender gestalten, muss aber auch immer mehr Verantwortung übernehmen.

Dann rührt die Angst also doch daher, dass das Konkurrenzprinzip alle Lebensbereiche erfasst hat. Ich muss sogar um den Hospizplatz kämpfen.

Bude Ich würde nicht von Kampf sprechen, denn das klingt, als sei es eine Frage des Geldes, welchen Hospizplatz man bekommt.

Das ist doch auch so. Die medizinische Versorgung ist doch längst abhängig vom Einkommen.

Bude Ja, aber entscheidend für den Sinnstress ist das innere Empfinden für die eigene Respektabilität. Wenn jemand sein Ansehen für gesichert hält, dann können ihm auch ökonomische Rückschläge wenig anhaben. Es geht also doch wieder um Bindungen im sozialen Gefüge. Ich glaube, dass Menschen heute wieder stärker wahrnehmen, dass nur Solidarität ihnen ein Gefühl von Sicherheit geben kann. Darum gibt es zwar Phänomene wie die Demonstrationen in Dresden, aber eben auch große Solidarität etwa mit den syrischen Flüchtlingen. Menschen wollen unbürokratisch helfen, weil andere in Not sind. Mit wachsender Angst steigt auch der Wunsch nach Mitmenschlichkeit. Solidarität ist die große Möglichkeit, die Angst vor der Angst zu bannen.

Die Angst vor der Angst und ein Gefühl diffuser Kränkung treibt die Menschen in Dresden auf die Straße?

Bude Ja, Angst macht Menschen verführbar. Sie werden empfänglich für Demagogen, die ihnen einreden, nur sie nähmen ihre Ängste wahr und sprächen sie offen an. Das ist der Erfolg von Pegida. Demagogen verstärken die Ängste, die Menschen diffus empfinden, und lenken sie auf ihre Ziele. Das ist aber auch die Chance für Staatsmänner. Franklin D. Roosevelt etwa hat seinen Landsleuten währen der großen Depression gesagt: Habt keine Angst vor der Angst, öffnet Euch für die Zukunft. Nur Zukunftsöffnung ist Angstmanagement.

Mit Heinz Bude sprach Dorothee Krings.

(dk)
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