Interview: Thomas Freitag "Die digitale Revolution frisst die Seelen auf"

Seit 40 Jahren ist Thomas Freitag als Kabarettist ein Bühnenstar. Im Düsseldorfer Kom(m)ödchen wurde der Schauspieler einst dazu animiert.

Düsseldorf Er ist eine wichtige Stimme in Deutschland, eine kritische, laute, pointierte und eine, die Amüsement verspricht auf hohem Niveau. Thomas Freitag ist seit 40 Jahren auf deutschen Bühnen unterwegs, um diese Stimme zu erheben, um Menschen zu parodieren, politische Zu- und Missstände anzuprangern oder die Welt so zu erklären, wie er sie versteht. Dass er morgen in Düsseldorf an den Ort seiner kabarettistischen Taufe zurückkehrt, ist ihm und Hausherr Kay Lorentz ein Fest wert. Alte Wegbegleiter kommen. Karten gibt es leider nicht mehr. Vorab eine Befragung des Kabarettisten, der gerne Schauspieler geblieben wäre.

Welches Gefühl beschleicht Sie im Kom(m)ödchen, in der Spielstätte, an der für Sie alles begann?

Freitag Naja, meine Karriere begann ja nicht am Kom(m)ödchen. Ich habe in Stuttgart am Renitenz-Theater mein erstes Engagement bekommen. Von dort ging ich nach Gießen an das Stadttheater, wo ich meine Anfängerjahre als Schauspieler absolvierte. In dieser Zeit brachte ich auch mein erstes abendfüllendes Kabarettsolo heraus. Das hat sich dann Kay Lorentz senior angeschaut; und er wollte mich haben. Im Übrigen bin ich bis heute Schauspieler geblieben, was sich auch sehr deutlich in meinen Programmen abzeichnet.

Hätten Sie je geglaubt, dass das Kabarett Marke Freitag 40 Jahre in der Erfolgsspur bleibt?

Freitag Wenn man in einen künstlerischen Beruf gehen will, sollte man sich von vorgefertigten Wunschvorstellungen verabschieden, es sei denn, man ist krankhaft ehrgeizig. Natürlich habe ich mir das damals wahrscheinlich alles anders vorgestellt. Ich wollte ursprünglich eigentlich nur zum Theater. Aber als politisch ambitionierter Mensch, der ich nun mal war und immer noch bin, liegt es nahe, dass ich letztlich beim Kabarett gelandet bin. Von Vorteil war, dass am Kom(m)ödchen auch darstellerisch ein hoher Anspruch angesagt war. So konnte der Rollenspieler in mir gut zur Entfaltung kommen. Vielleicht liegt der Erfolg auch darin, dass es mich künstlerisch nie sonderlich interessiert hat, mir als Darstellertyp eine Masche zurechtzulegen, damit der Wiedererkennungseffekt im Fernsehen gewahrt wird. Das hat mich als Künstler nie interessiert. Für mich zählt in meiner Arbeit jede neue künstlerische Herausforderung. Der Zauber des Anfangs. Wohl wissend, dass das natürlich auch bisweilen zur Verunsicherung der Fastfood-Abteilungen im Fernsehen führen kann.

Im nächsten Jahr werden Sie 65 Jahre alt, im 41. Jahr Ihres Bühnenlebens. Gibt es eigentlich keinen Ruhestand für Kabarettisten?

Freitag Wir Bühnenspieler haben uns mit dieser Berufsentscheidung auch ein Stück weit unsere Kindheit mit hinübergerettet. Da kann dem Spieltrieb nur eine mangelnde Gesundheit einen Strich durch die Rechnung machen. So gesehen, wird es für mich so schnell keinen Ruhestand geben. Außerdem kann man es sich mit den Jahren ja einteilen. Als Skipper gehe ich gerne auch aufs Wasser. Das entspannt und entschleunigt.

Die Themen liegen nach wie vor auf der Straße: Was sagen Sie etwa zu Social Freezing - und zu Firmen wie Facebook und Apple, die ihren Mitarbeiterinnen das tiefgekühlte Ei als Zukunftsgewandtheit anbieten?

Freitag Wenn ich darüber nachdenke, soll das ja nicht nur zum Wohle der Frauen geschehen, sondern doch auch, um die Arbeitskraft der Frauen in ihren besten Jahren abzuschöpfen. Diese besten Jahre sind ganz offensichtlich mit Vollendung des 35. Lebensjahres vorbei. Dann kann sich die Frau gerne einer Familie widmen, denn dann ist sie ja wohl verzichtbar für unsere Arbeitswelt. Ein weiteres Beispiel dafür, dass die Wirtschaft nicht für den Menschen da ist, sondern umgekehrt. Dekadent.

Haben Sie eine humane Lösung für das europäische Flüchtlingselend parat?

Freitag Nein. Ist das meine Aufgabe? Aber unabhängig davon, dass ich gerne spende, möchte ich auch die Politikerklasse nicht noch weiter von ihren Pflichten entbinden. Die entledigt sich doch ohnehin schon - lobbygesteuert - durch zunehmendes Outsourcing ihrer Hoheitsaufgaben, also ihrer Verantwortung, die sie als "gewählte Volksvertreter" eigentlich hat.

Mit welcher Prognose belegen Sie eigentlich unsere deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel?

Freitag Von dieser Frau ist bekannt: Sie ist uneitel, kann zwei und zwei zusammenzählen und fährt ihre Politik auf Sicht. Das geht solange gut, wie es dem deutschen Volk in seiner Gesamtheit gut geht. Auch sie kauft sich, wie es die Deutschen überhaupt gerne tun, von tiefgreifenden Entscheidungen frei. Sie flutet die Märkte mit billigem Geld, damit die Krise nicht hochkommt. Die Politik insgesamt kauft sich frei von ihren Verpflichtungen, Eltern kaufen sich frei von Erziehung. So viele Sozialhelfer werden wir am Ende nicht haben, wie wir durch das Weglassen von Haltung brauchen werden.

Kohl war mal Ihr glänzendes Paradebeispiel für Parodie . . . Welches Gefühl beschleicht Sie heute, wenn Sie Ex-Kanzler Kohl und seine neue Frau, die ihn wie eine Art Gouvernante umschwärmt, im Streit mit Biografen beobachten?

Freitag Abgesehen von seinen Verdiensten als Europapolitiker, die nicht zu unterschätzen sind, hat sich mein Gefühl gegenüber dem Machtmenschen Kohl nicht verändert. Negativ.

Wie schätzen Sie überhaupt die Lage in und von Deutschland ein?

Freitag Och, solange alles mit Kohle geregelt werden kann, ist die Lage doch gut. Oder? Dass wir dabei, wie kein zweites Volk in Europa, im Alltag unsere Sprache und unsere Kultur derart negieren, zeigt nur, dass wir uns mit unserer eigenen Identität immer noch schwertun. Warum manche Leute "chillen" und sich in der "hair-factory" die Haare schneiden lassen müssen, verstehe ich nicht so recht. Es ist ein Identitätsproblem mit einem Land, dessen Sprache so überreich ist. Überall ist es besser, wo ich nicht bin. Dort, wo du nicht bist, ist das Glück. Wer damit leben kann. Auch gut.

Wie gehen Sie um mit der digitalen Revolution?

Freitag Ich nutze die Möglichkeiten dort, wo sie in meinen beruflichen Abläufen vieles leichter machen. Aber wie bei allen neuen Errungenschaften bleibt der Missbrauch natürlich nicht aus. In dieser Beziehung ist der Mensch eigentlich eine Fehlkonstruktion, indem er durch seinen Missbrauch beweist, dass er gewisse Errungenschaften einfach nicht beherrscht. Er ist beschränkt. Die Menschen, die ich auf der Straße sehe, halten ständig ihr iPhone in der Rechten und glotzen dauernd auf diesen persönlichen Navigator, als ob sie einen riesen Lottogewinn erwarten würden. Was ist so wichtig, dass ich mich 24 Stunden lang diesem Gerät unterwerfe? Johannes Gross hat mal gesagt, wer immer erreichbar ist, gehört zum Personal. Recht hat er.

Was beklagen Sie als schwersten Verlust für unser Miteinander in Folge der digitalen Revolution?

Freitag Die digitale Revolution frisst die Seelen der Menschen auf. Das ist ihnen aber nicht zwingend bewusst.

Oder sehen Sie vielleicht doch auch noch Vorteile?

Freitag Die Vorteile habe ich oben benannt. Glaube aber, dass der Schaden am Ende überwiegt.

Welche Sorge bereitet Ihnen die demografische Entwicklung in Deutschland hin zu einem Land der Alten?

Freitag Auch ein Thema, dem sich die Politik viel zu lange verweigert hat. Fragen Sie mich jetzt bitte nicht, warum.

Haben Sie als Mensch Angst vor Verlust?

Freitag Ja, natürlich. Der Verlust der Menschenwürde geht immer mit dem sozialen Abstieg einher. Auch habe ich Angst davor, einen Menschen, der mir nahe steht, zu verlieren. Das ist doch wohl normal.

Welche Ihrer Wünsche haben sich bis heute nicht erfüllt?

Freitag Politisch bedauere ich für uns Deutsche, dass wir uns nach dem Fall der Mauer keine neue Verfassungsdebatte gegeben haben. Dass wir uns nicht die Frage gestellt haben, wie wir eigentlich mit diesem neuen Deutschland leben wollen, außer weiterhin gesamtdeutsch ein wirtschaftlich mehr oder weniger schlechtes Abziehbild der Amerikaner zu bleiben.

Und beruflich?

Freitag Ich würde gerne mehr Theater spielen wollen. Dabei wäre ich auch Film- und Fernsehrollen gegenüber nicht abgeneigt.

Und zuletzt persönlich, wenn Sie das verraten mögen?

Freitag Ich bin bei allem Optimist geblieben, weil ich in den privaten Dingen viel Zuspruch und Zuneigung erfahre, die für mich den Reichtum des Lebens ausmachen und den ich zu schätzen weiß.

Wovon träumt Thomas Freitag, wenn er ausnahmsweise mal nicht auf der Bühne steht?

Freitag Auf dem Wasser zu sein. Leben. Schreiben. Gesund sein mit Vertrautem.

(RP)
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