Impulskontrolle Die Erfolgsregeln der "Tigermama"

Impulskontrolle · Was ermöglicht sozialen Aufstieg? Ehrgeiz, Disziplin und das Gefühl, anderen überlegen zu sein, glaubt Amy Chua. Die Tochter chinesischer Einwanderer hat bereits in einem Erziehungsratgeber Drill rechtfertigt. Nun legt sie nach.

Sie hat ihre Töchter zu musikalischen Wunderkindern gedrillt. Hat deren Übestunden überwacht, harmlose Spielnachmittage gestrichen, ihnen den Willen zu Höchstleistung eingetrichtert. Und dann hat Amy Chua mit selbstbewusster Freimütigkeit ein Buch über ihre "chinesischen" Erziehungsmethoden geschrieben, darüber, wie sie eine Tochter bei eisigen Temperaturen auf die Terrasse aussperrte, der anderen drohte, ihre Stofftiere zu verbrennen – und so Konzertmeisterinnen und Wettbewerbssiegerinnen aus ihnen machte. Und man las von den aggressiven Leistungsdruck-Methoden der selbsternannten "Tigermama" mit einer Mischung aus Abscheu und Faszination. Weil der Westen doch ohnehin die Überlegenheit Asiens fürchtet und ahnt, dass es irgendwann vorbei sein könnte mit der selbstzufriedenen Gemütlichkeit und dem Streben nach möglichst viel mühelosem Spaß im Hier und Jetzt.

Diese Angst füttert Amy Chua nun weiter. Diesmal zusammen mit ihrem Mann, Jed Rubenfeld, der Sohn jüdischer Einwanderer ist und genau wie Amy Chua an der amerikanischen Eliteuniversität Yale Jura unterrichtet. Das Paar hat sich die Frage gestellt, warum manche Menschen aus armen Verhältnissen in den USA in Spitzenpositionen aufsteigen, andere nicht. Chua und Rubenfeld haben Statistiken und Studien zusammengetragen. Leider erörtern sie ihre Frage jedoch nicht mit Blick auf soziale Mechanismen, die soziale Mobilität beeinflussen. Sie vergleichen lieber diverse Einwandergruppen auf ihre Fähigkeit, es schnell zu Ansehen und Reichtum zu bringen, und versuchen das durch deren Kultur zu begründen.

Natürlich verbirgt sich darin schon eine Schwierigkeit ihres Unternehmens. Denn es ist zwar legitim, soziale Gruppen zu vergleichen. Unterteilt man diese aber nach der nationalen Herkunft, landet man schnell bei Spekulationen über die Auswirkungen vermeintlicher kultureller Prägungen, die man erst einmal belastbar beschreiben und erfassen müsste.

Chua und Rubenfeld sind schnell dabei, aus dem statistisch messbaren Leistungsvorsprung indischer, chinesischer, iranischer oder libanesischer Amerikaner auf Werte wie Fleiß, Disziplin oder Familienehre rückzuschließen. Hätte man die Statistiken mit einem anderen Raster als dem der Nationalität untersucht, wäre man womöglich bei anderen Ergebnissen gelandet. Kinder chinesischer Einwanderer mögen besser in der Schule sein, vielleicht liegt das aber nicht daran, dass sie chinesisch sind, sondern dass sie mehr Bücher lesen oder weniger fernsehen – und das sind Merkmale sozialer Klassen, nicht nationaler Zugehörigkeit.

Doch Chua und Rubenfeld leiten ihre Thesen sowieso nicht seriös aus empirischen Daten her, sondern unterfüttern nur, was sie ohnehin schon dachten. Das ist bemerkenswert, denn es spiegelt die Werte einer Gesellschaft, die den Einzelnen für sein Glück verantwortlich macht und soziale Mobilität für eine Frage individueller Leistung hält, nicht gesellschaftlicher Vorgaben. Die beiden Elite-Eltern glauben drei Voraussetzungen gefunden zu haben, die Menschen erfolgreich machen:

– das tief verinnerlichte Bewusstsein, einer Gruppe anzugehören, die ungewöhnlich, einzigartig und anderen Gruppen überlegen ist.

– das Gefühl, keine sichere Stellung in der Gesellschaft zu besitzen, um seine Position kämpfen zu müssen und den Anforderungen für diesen Kampf nie ganz zu genügen.

– die Fähigkeit, eigene Bedürfnisse zurückstellen zu können, Disziplin zu zeigen und bei Rückschlägen nicht aufzugeben.

Dieser Dreierpack, so glauben die Tigereltern, erzeuge bei Menschen eine Mischung aus unbedingtem Leistungswillen, Selbstbewusstsein und extremem Ehrgeiz, dem durchaus ein Angstgeruch anhaftet. Sie selbst sprechen von einem "potenten Kulturpaket, das Antrieb schafft: einen Drang, sich zu beweisen, der Menschen systematisch auf gegenwärtige Belohnungen verzichten lässt, um in Zukunft etwas zu erreichen".

Dabei leugnen Chua und Rubenfeld nicht, dass diese Art von Leistungsbewusstsein auch negative Folgen haben kann. Stress und Depression seien weit verbreitet unter Menschen, die mit unbedingtem Willen zum sozialen Aufstieg erzogen würden. Für die Autoren ist das eben die Kehrseite des Erfolgs.

Chuas Buch, das im Deutschen den sperrigen Titel trägt "Alle Menschen sind gleich, Erfolgreiche nicht", formuliert im Grunde dieselben Thesen wie ihr Erziehungsratgeber "Die Mutter des Erfolgs", der sie als leistungsfixierte "Tigermutter" berühmt gemacht hat. Chua wettert gegen die Weichheit des Westens, insbesondere der USA, prangert eine Mentalität der Bequemlichkeit und des Konsumierens an, das auf die schnelle Befriedigung von Bedürfnissen setzt, von Anstrengung, Fleiß und Eifer nichts wissen will. Anders als europäische Konsumkritiker setzt Chua dem Hedonismus aber nicht den Verzicht entgegen. All die Selbstdisziplinierung, die sie predigt, soll dem Menschen am Ende mehr Geld bringen, mehr Möglichkeiten für Konsum. Er soll sich nur angestrengt haben.

Chua und Rubenfeld sind keine Systemkritiker. Die USA, von denen sie träumen, setzen wieder ungeschminkt auf Konkurrenzkampf. Die Autoren halten das Gefühl, niemals gut genug zu sein, für den notwendigen Stachel, der ein Land wie den Einzelnen vorantreibt – wenn er auch das Glück kostet.

(RP)
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