Interview mit Frank Schätzing "Die Welt war immer gefährlich"

Düsseldorf (RP). Bestsellerautor Frank Schätzing ist mittlerweile auch Experte für Zukunftsfragen geworden. So wird der 53-Jährige ("Der Schwarm") im Rahmen der Preisverleihung zum 16. Radio Kreativ Award ("Ramses") ein Plädoyer für ein aktives Gestalten unserer Zukunft halten. Auf dem Ramses-Kongress in Düsseldorf wird neben Frank Schätzing auch der ehemalige Außenminister Joschka Fischer sprechen. Im Vorfeld seines Auftritts sprach unsere Redaktion mit Frank Schätzing über Klimawandel und Panikmache.

Autor Frank Schätzing posiert in Unterwäsche
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Werden Autoren heutzutage zunehmend zu Propheten, die uns die Zukunft voraussagen?

Schätzing Autoren sind niemals Propheten. Sie liegen nur mitunter richtig — entweder, weil sie ein Gespür für gesellschaftliche Trends oder einfach das Glück haben, Entwicklungen in ihren Anfängen aufzugreifen, von denen andere bis dahin noch nichts mitbekommen haben. Dass man uns Prophetie unterstellt, hat andere Gründe. Wir müssen recherchieren, uns zu bestimmten Themen schlaumachen, einfach um unsere Geschichten erzählen zu können. Und da wird man en passant zum Fachmann auf bestimmten Gebieten. Selber fällt einem das gar nicht so sehr auf, es sind meist andere, die einen darauf hinweisen. Dann wird man in Talkshows eingeladen, gilt plötzlich als Experte, und vom Experten zum Propheten ist es nicht weit.

Sind Sie selbst bei Ihren Recherchen denn schon einmal von einem Thema überrascht worden?

Schätzing Natürlich. Ich hatte im "Schwarm" einen Tsunami beschrieben. Zehn Monate später rauschte in Südostasien einer durch. Mir war im Verlauf der Recherche schon klargeworden, wie häufig diese Monsterwellen eigentlich sind, geologischer Alltag sozusagen. Im Grunde war die Katastrophe überfällig. Nur, wenn Fiktion so prompt Wirklichkeit wird, das erwartest du in deinen kühnsten Träumen nicht. Damals kam dieser Quatsch auf, ich hätte das Ereignis prophezeit. Tatsächlich wusste ich einfach nur relativ viel über ein Phänomen, das in Deutschland kaum einer auf dem Schirm hatte, also konnte ich es korrekt beschreiben. Auch in "Limit" gibt es einige Szenarien, die nach und nach Wirklichkeit werden, und das hat nichts mit Hellsehen zu tun.

Fühlen Sie sich denn von den aktuellen Wirklichkeiten unserer Welt in eine bestimmte Rolle gedrängt?

Schätzing Nein, es sei denn, ich würde mich drängen lassen oder beginnen, mit Trends zu kokettieren. Bloß wäre mir das zu viel Kalkül. Ich finde es viel spannender, mich mit Themen zu beschäftigen, die mich persönlich faszinieren, egal wie populär oder out sie gerade sind. Wenn das fertige Buch dann den Nerv trifft — wie etwa beim "Schwarm" —, ist das natürlich ein schöner Nebeneffekt.

Kann gerade in solchen Fällen die Literatur dann auch etwas bei den Menschen bewirken und auslösen?

Schätzing Sie kann vielleicht dazu beitragen, dass sich im Kopf was bewegt. Wie viel sie tatsächlich bewirkt, da bin ich skeptisch. "Das Kapital" von Karl Marx war eins der wenigen Bücher, die tatsächlich was bewirkt haben — vielleicht nicht unbedingt zum Besten. Soweit wir Autoren überhaupt eine Botschaft haben, schaffen wir es allenfalls, ein kleines bisschen an der öffentlichen Meinung mitzudrehen.

Ist denn die geringe Wirkung ein Vorteil oder ein Nachteil von Literatur?

Schätzing Offen gesagt, ich weiß es nicht. Muss sie was bewirken? Wird es weniger gute Literatur, wenn sie einfach nur gut unterhält? Ich persönlich schreibe nicht, um den Leuten etwas beizubringen oder sie zu missionieren. Erst mal will ich nur, dass sie beim Lesen den gleichen Spaß haben wie ich beim Schreiben. Im Vordergrund steht die Story. Dass wir uns nicht missverstehen, da können durchaus Aspekte einfließen, die gesellschaftlich relevant sind oder werden. Aber eine Story muss mehr sein als das Deckmäntelchen für eine Botschaft.

In ihrem Buch "Nachrichten aus einem unbekannten Universum" schreiben Sie, dass wir mit offenen Augen durchs Universum reisen sollen. Ist unsere Wahrnehmung denn trotz der vielen technischen Möglichkeiten beschränkt?

Schätzing Teilweise sogar wegen der vielen Möglichkeiten. Jedem von uns fliegt täglich eine mediale Splitterbombe um die Ohren. Millionen Reize, die auf uns einprasseln. Noch nie waren wir so informiert wie heute. Und zugleich noch nie so blind für das Wesentliche! Wir wissen alles über eine Kuh, nur nicht, dass sie eine Kuh ist. Das ist die Gefahr, wenn man wie ein Junkie Informationen konsumiert, ohne sich der Mühe zu unterziehen, alles zu einem sinnvollen Ganzen zusammenzusetzen. Wir halten uns für aufgeklärt, weil wir so viel erfahren, aber de facto machen wir uns aus der Vielzahl der Informationen zu selten ein eigenes Bild.

Welche Zeitreise — zu der Sie in diesem Buch auch einladen — liegt denn noch vor uns? Und sehen Sie der optimistisch entgegen?

Schätzing Sehr optimistisch. Ich kann das Gejammer, man könne in diese schreckliche Welt keine Kinder setzen, nicht hören. Die Welt war immer gefährlich, nur dass ein Mitteleuropäer des 16. Jahrhunderts von Überschwemmungskatastrophen in Indien oder afrikanischen Stammesgemetzeln nichts erfahren hat. Der kannte kein Heute-Journal, keinen Weltspiegel. Der lebte in seiner überschaubaren Welt, da war Krieg oder Frieden, basta. Heute bekommen wir Tag für Tag einen kompletten Planeten frei Haus geliefert, inklusive all seiner Befindlichkeiten. Das nährt den Eindruck, es gäbe mehr Naturkatastrophen und humanitäre Desaster denn je. Stimmt nicht. Natürlich herrschen Leid und Ungerechtigkeit auf dem Planeten, darum müssen wir uns kümmern. Zugleich ging es noch nie so vielen Menschen so gut. Wir leben in der besten Welt, in der Homo sapiens je lebte.

Aber was ist mit dem Klimawandel, von dem einige Forscher meinen, er stehe kurz bevor?

Schätzing An der Stelle müssen wir mal mit einem Irrtum aufräumen. Uns steht kein Klimawandel bevor. Der beginnt nicht am Tag X, sondern wir sind längst mittendrin. Seit viereinhalb Milliarden Jahren gibt es auf der Erde Klimawandel, unentwegt. Nun, ein Menschenleben ist kurz, also glauben viele, wenn sich im Verlauf von hundert Jahren wenig geändert hat, wäre das ein Indiz für Stabilität, und schon erscheint uns jede Veränderung als Debakel. Aber es gibt keine intakte Umwelt und hat es nie gegeben, nur Wandel.

Was tragen wir selbst dazu bei?

Schätzing Kein Fachmann wird das ganz genau sagen können. Natürlich müssen wir alles daransetzen, unseren Kindern einen lebenswerten Planeten zu hinterlassen, aber gegen die großen klimatischen Veränderungen werden wir uns nicht stemmen können, bei aller Hybris. Die Frage ist also weniger, was wir gegen den Klimawandel tun, sondern wie wir damit leben. Und Antworten finden wir nur, wenn sich alle Nationen an einen Tisch setzen. Was soll es bringen, wenn wir in Deutschland alle Atomkraftwerke und Kohlekraftwerke abschaffen und zugleich in China 300 neue gebaut werden? Wir brauchen globale Masterpläne, Konsens. Um zu verhindern, was zu verhindern ist. Und das Beste aus dem zu machen, was nicht zu ändern ist.

Das Gespräch führte Lothar Schröder

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