Museum La Boverie Ein Louvre in Lüttich

Lüttich · Für rund 28 Millionen Euro hat das belgische Lüttich sein einstiges Museum der Schönen Künste vergrößert und um einen gläsernen Anbau erweitert.

Schöner hätte man den Auftakt kaum gestalten können. Das Thema der ersten Sonderschau im neuen Lütticher Museum La Boverie knüpft unmittelbar an Ort und Jahreszeit an. Denn man braucht nur hinaus auf den Park und die vorüberfließende Maas zu schauen, auf das sommerliche Ambiente aus Picknick und Passanten, um eine Brücke von der Kunst zur Wirklichkeit zu schlagen.

Drinnen breitet der Pariser Louvre, fortan Partner des Lütticher Museums, einen Bilderschatz zum Thema "En plein air" aus: Freilichtmalerei vom 18. Jahrhundert über Monet und Picasso bis zur Gegenwart. Und wer beim Anblick von Cézannes "Frühstück im Grünen" Appetit verspürt, der kann sich vom neuen Restaurant des Museums einen Picknickkorb zusammenstellen lassen und sich damit in den Park absetzen. Sinnigerweise heißt dieses mit einer hübschen Gartenterrasse versehene Restaurant "Madame Boverie".

Man kann es sich also gut gehen lassen in diesem Museum und drumherum. Und damit die Besucher sogleich von der sommerlichen Atmosphäre beflügelt werden, schickt das Haus sie nicht erst ins Mittelalter, sondern lässt "En plein air" gleich hinter der Kasse beginnen. Die Natur, so zeigt sich da, ist eine wunderbare Kulisse auch für Dinge, die ihr nicht entwachsen. Davon vermittelt das Bild eines namentlich unbekannten Malers einen Eindruck, das im 18. Jahrhundert den Ballon-Aufstieg von Charles und Robert Montgolfier im Pariser Tuileriengarten wiedergibt. Die Ausstellung illustriert, wie sich das Interesse der Freiluftmaler von der Natur immer weiter zu den Freizeitvergnügungen ihrer Zeitgenossen verlagerte. Den Landschaftsbildern von Corot folgen bald Monets Sonntagsspaziergänger auf dem Pariser Pont Neuf. Irgendwann löst die Fotografie die Malerei ab, und man vertieft sich in Joachim Bonnemaisons 360-Grad-Panorama "Die sehr große Baustelle der Stadt": eine Farbfotografie von der Entstehung eines Hochhauses. Etwas Ähnliches hat man im Original erlebt, wenn man die 700 Meter vom Bahnhof zum Museum zu Fuß gegangen ist.

Matisse, Chagall, Léger - der Louvre hat sich nicht lumpen lassen. Der ausgedehnte Rundgang mündet in den gläsernen Erweiterungsbau des Museums, den der französische Architekt Rudy Ricciotti entworfen hat, Schöpfer auch des Museums der Zivilisationen Europas und des Mittelmeers in Marseille.

Die riesige Halle, die dem Museum einen Zuwachs von 1200 Quadratmetern beschert, wird zurzeit kaum genutzt. Zwei Pavillons verlieren sich darin. Der eine gilt dem Blick der Maler aus dem Fenster, der andere enthält eine Folge von "Badenden" Picassos aus den 20er und 30er Jahren. Im Übrigen schaut man hinauf auf die hohen, sich oben verdickenden Säulen des Erweiterungsbaus, die ganz offensichtlich auf die historistischen korinthischen Säulen des Stammgebäudes anspielen. Dieser Kern des Museums war 1905 für die Weltausstellung errichtet worden.

Dem Wechselausstellungsbereich schließt sich die Schausammlung an, ein geringer Teil ebenfalls im Parterre, der größere im Untergeschoss, das innerhalb des fast 28 Millionen Euro teuren Umbaus aufwändig vertieft wurde. Dieser Keller ist die eigentliche Schatzkammer des Museums. Durch Renaissance und Humanismus, repräsentiert vor allem durch Bilder des Lütticher Malers Lambert Lombard, und vorbei an einem großformatigen Gemälde des Belgiers Constantin Meunier, das die schwere Arbeit in einem Stahlwerk der Region zeigt, gelangt man zum Höhepunkt der Sammlung.

Dieser Höhepunkt ist zugleich ein Tiefpunkt. Denn er besteht aus jenen Bildern, die das Nazi-Regime in deutschen Museen beschlagnahmt und 1939 in der Luzerner Galerie Fischer hatte versteigern lassen. Die Stadt Lüttich erwarb damals mit staatlicher belgischer und privater Unterstützung neun Gemälde von international bekannten Künstlern für insgesamt 126.040 Schweizer Franken, einen Bruchteil des heutigen Werts.

So kommt es, dass Picassos frühes Gemälde "Die Familie Soler", das einst dem Kölner Wallraf-Richartz-Museum gehörte, jetzt im Museum La Boverie hängt. Deutsche Gerichte vertreten die Auffassung, dass solche durch das "Dritte Reich" erzwungenen Besitzerwechsel nicht widerrufbar sind.

Doch es ist ja nicht weit bis Lüttich, und neben der "Familie Soler" lassen sich noch weitere Spitzenwerke aus einst deutschem Besitz bewundern: "Der Tod und die Masken" von James Ensor (ehedem Kunsthaus Mannheim), ein Südsee-Bild von Gauguin (einst Städtische Galerie Frankfurt) oder Liebermanns "Reiter am Strand" (Staatliche Gemäldesammlung München).

So führt der sommerliche Ausflug nach Lüttich nicht nur in die Gefilde der Kunstgeschichte, sondern unversehens noch in eine andere, düstere Vergangenheit.

(B.M.)
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