Erstes Kind nach PID-Gentest geboren

Lübeck (dpa/jov) Im Universitätsklinikum Lübeck ist nach Klinikangaben das erste Baby Deutschlands geboren worden, bei dem eine Präimplantationsdiagnostik (PID) zum Ausschluss eines einzelnen Genfehlers gemacht wurde. Das Mädchen sei putzmunter und bei der Geburt 50 Zentimeter groß und 3010 Gramm schwer gewesen, teilte das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) gestern mit.

Die Eltern des kleinen Mädchens hatten sich nach Angaben der Klinik für die Untersuchung entschieden, weil beide die Erbanlage für eine Skelett-Anomalie in sich tragen, bei der die Kinder meist während der Schwangerschaft oder kurz nach der Geburt sterben. Das Paar hatte bereits drei Schwangerschaften hinter sich, bei denen der Fötus jeweils im Mutterleib gestorben war. Mit Hilfe der PID habe man das 25-prozentige Risiko für die neue Schwangerschaft ausschließen können, sagte der Direktor der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe des UKSH, KlausDiedrich.

Vor der Präimplantationsdiagnostik stand dabei die künstliche Befruchtung: Im Reagenzglas wurde eine entnommene Eizelle der Frau mit Spermien des Partners befruchtet. Daraus entwickelte sich ein Embryo, bei dem die PID angewandt werden konnte. Dafür musste man indes warten, bis sich aus der einen Eizelle acht Zellen entwickelt hatten. Das war etwa drei Tage nach der künstlichen Befruchtung der Fall.

In dieser Frühphase wurden dann ein bis zwei Zellen entnommen, die in dem Stadium allerdings totipotent sind. Das heißt, aus den Zellen für die Untersuchung hätten sich unter bestimmten Bedingungen auch wieder vollständige Embryonen entwickeln können. Das macht die PID unter anderem so umstritten. Bei einer späteren Entnahme nach fünf oder sechs Tagen wäre das zwar ausgeschlossen. Aber in dann würde die Gefahr bestehen, dass der möglicherweise gesunde Embryo bei der PID zerstört wird.

Das Erbgut der entnommenen Zellen wird auf Genschäden oder Mutationen untersucht, die eine Krankheit auslösen können. In einem Gen ist dabei unter anderem die Ausprägung einer Erbanlage codiert. Chromosomen dagegen sind eine Sammlung von Genen. Bei einer PID können nun Anomalien dieser Chromosomen entdeckt werden — oder wie in Lübeck auch einzelne Gendefekte.

Die Möglichkeiten der Präimplantationsdiagnostik gehen aber noch weiter: So lässt sich eine mögliche Behinderung feststellen, ebenso das Geschlecht und die Eignung als Organ- oder Gewebespender für bereits lebende, aber erkrankte Geschwister. Aufgrund der Möglichkeiten erlaubte der Bundestag vergangenes Jahr zwar die begrenzte Zulassung der umstrittenen Diagnostik. Eine Ethikkommission muss aber der Untersuchung zustimmen.

Obwohl es erst seit 2011 eine rechtliche Regelung in Deutschland gibt, hatte bereits 2005 der Berliner Arzt Matthias Bloechle durch PID einer Frau nach vier Fehlgeburten zu einem gesunden Kind verholfen. Doch damals sei es darum gegangen, eine Chromosomenstörung auszuschließen, heißt es in Lübeck. "In unserem Fall ging es um den Ausschluss einer Krankheit, die durch einen Defekt in einem einzelnen Gen verursacht wird", sagte Diedrich. Diese Untersuchung sei aufwendiger und komplizierter und werde derzeit bundesweit außer in Lübeck nur noch in Regensburg und München gemacht. Und auch in der bayerischen Landeshauptstadt gebe es eine Schwangerschaft nach einer PID-Untersuchung wegen einer Erkrankung, die auf ein einzelnes Gen zurückgeführt werden könne, sagte Diedrich.

In der internationalen Fachwelt wird die PID in Betracht gezogen, wenn die Mutter ein vergleichsweise hohes Alter hat — das heißt, älter als 35 Jahre ist — oder wenn in der Familie Häufungen von Krankheiten vorliegen, die von nur einem Gen abhängig sind und leicht vererbt werden können. Im Lübecker Fall war genau das der Fall. 1990 kam in England das erste Kind zur Welt, das mittels PID auf eine Erbkrankheit untersucht worden war.

(RP)
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